Werke
sein Hemd, sonst wie das der Alten, hatte frische Risse. Es blickte unwillig gegen die Ankommenden.
Stephan blieb mit den Kindern vor dem alten Weibe stehen und sagte: »Das ist ein lieblicher Sonnenschein, der heute da herniederkömmt.«
»Ja, ja, er scheint jeder Zeit, wann er scheint«, erwiderte das alte Weib.
»Ihr habt Euch in denselben gesetzt, und zieht da Euern Faden aus dem Rocken«, sagte Stephan.
Das alte Weib sah mit großen, schwarzen Augen aus dem knöchernen Angesichte auf ihn und sagte nichts.
»Er wärmt Eure Glieder«, sagte Stephan wieder.
»Die Glieder möchten warm sein im Sommer und im Winter und arm Morgen und am Abende«, sagte das alte Weib.
»Wie heißt Ihr denn?« fragte Stephan.
»Sonst hieß ich Lucia, jetzt aber Katharina, manchmal hieß ich auch Ludmilla, da er noch lebte. Der Name war ihm süß, er hat diese schwarzen Haare gestreichelt«, sagte das alte Weib.
»Frage sie nicht mehr«, rief jetzt das wilde Mädchen, indem es seinen Kopf über den des alten Weibes hervorstreckte, so daß die Sonne ihn beschien.
Stephan nahm die Kinder bei der Hand, wendete sich um und ging von dem Zubaue weg.
An der Tür des Hauses stand ein Weib und sagte zu Stephan, da er sich näherte: »Ihr seid bei der Mutter gewesen und habt mit ihr gesprochen.«
»Wenig,«sagte Stephan, »sie scheint nicht redselig zu sein.« »Das Kind läßt sie nicht sprechen, und läßt nicht andere mit ihr sprechen«, sagte das Weib.
»Seid Ihr die Mutter des Kindes?« fragte der alte Mann.
»Nein, ich bin die Jungfrau Anna, die Schwester der Mutter,« antwortete das Weib, »wir haben die Plage und müssen für alles sorgen, das Kind ist bei der Mutter hinten und will gar nicht einmal zu uns hervorgehen, wo es viel besser wäre. Aber wollt Ihr denn mit dem schönen Herrlein und dem schönen Fräulein nicht hereingehen, hoher Herr, und einen Schluck Milch trinken, von der Ziege oder von der Kuh?«
»Nein«, sagte der alte Stephan, »wir müssen unseres Weges weiter gehen, und danken Euch.«
»Nun, so behüte Euch Gott«, sagte das Weib. »Euch auch«, entgegnete Stephan.
Dann ging er mit den Kindern von dem Holzhäuschen weg, an dem kleinen Fleckchen Korn dahin, in das wilde Gehölz, und aus demselben wieder gegen das weiße Schreinerhäuschen hinunter.
»Großvater,« sagte Katharina, »das kleine Mädchen ist recht häßlich. Als es den Kopf hervorstreckte, daß ihn die Sonne beschien, war es mit dem schwarzen Angesichte wie ein dunkles Bild in einem Holzrahmen.«
»Aber wie ein schönes Bild,« sagte Franz, »seine Wangen glänzten wie eine Glocke der Kirche, und seine Augen leuchteten wie die Kerzen an dem Altare.«
»Nein, wie die Kohlen im Backofen«, sagte das Mädchen.
»Man soll das Kind nur rein und schön anziehen wie dich,« sagte Franz, »dann siehe.«
Sie waren in das Schreinerhäuschen hinunter gekommen, und Crescentia gab ihnen die Milch, welche sie zu dieser Zeit immer bekamen.
An einem jeden Tage, wenn sie nach dem Morgengange gelernt hatten, führte der Großvater die Kinder zu dem Waldbrunnen hinauf, und sie tranken mittelst des schönen Glasbechers von dem Wasser des Brunnens, und sie sahen die Bäume und Blumen und Grasblätter des Waldes und seine Faltern und seine Käfer und seine Tierchen, und hörten die Vögel singen. Einige Male gingen sie auch mit dem Führer Mathias den langen Pfad schief über die ganze mächtige Waldlehne empor, bis sie zu dem Fels der drei Sessel kamen. Stephan stieg mit den Kindern die Stufen, die der König in den Fels hatte hauen lassen, hinan, und sie sahen umher. Da lag der ungeheure Wald zu ihren Füßen, dann das weite Land mit Feldern, Wiesen, Wäldern, Häusern, Dörfern, Kirchen; den Donaustrom sahen sie, den Inn, die Isar, und dann den blauen Gürtel der Alpen von Tirol bis zu dem Ötscher, und schöne, schimmernde weiße Täfelchen waren in dem blauen Gürtel. Die Kinder hatten eine unaussprechliche Freude. Zuweilen gingen sie auch an den Schluchten, an den rauschenden Wässern, an den Ahornbäumen und anderen Bäumen hinauf in das wilde Gehölz, und aus ihm zu dem kleinen Fleckchen Korn, über dem manches Mal wieder eine Lerche war, und von dem Fleckchen Korn zu dem Holzhäuschen und von dem Holzhäuschen zu dem winzigen Anbaue, und sahen die alte Großmutter und das wilde Mädchen. Der Großvater sprach wenig; aber er brachte öfter etwas: ein seidenes Bändlein oder Glaskorallenoder papierene Blumen oder ein Schnürchen mit Dolden, und
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