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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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Bändchen, Holztrompetchen, kleine Puppen und dergleichen. Er ließ die Kinder lesen, besah ihre Arbeiten, und teilte zahlreiche Geschenke unter die fleißigen aus, und die sonst nichts bekamen, bekamen wenigstens ein Bildchen. Alle Kinder hatte er zum Lesen gerufen, nur das wilde Mädchen nicht, von allen hatte er sich die Arbeit zeigen lassen, nur das wilde Mädchen hatte er nicht aufgefordert. Dann öffnete er seine goldene Uhr und zeigte den Kindern um das wilde Mädchen herum den inneren Goldglanz und das rührige Gehwerk, dem wilden Mädchen nicht. Dann ging er zu dem Stuhle an dem Tische des Lehrers, setzte sich nieder und packte die Geschenke, die ihm übrig geblieben waren, in seine Tasche. Da stand das wilde Mädchen auf, drängte aus der Bank, ging zu dem alten Manne, hielt das Buch hin und gab Zeichen, daß es lesen wolle. Der alte Mann machte eine freundliche Zustimmung, und sofort begann das wilde Mädchen laut mit klarer, aber etwas tiefer Stimme ganz richtig in fremdartiger Aussprache das zu lesen, was auf den aufgeschlagenen Blättern stand. Als der alte Mann das Mädchen bedeutet hatte, daß es genug sei, trug es sein Buch zu seiner Bank und brachte sein Schreibheft zum Ansehen. Der alte Stephan sah die Schrift an, es waren mehrere Blätter beschrieben, die Buchstaben waren deutlich, wenn auch nicht schön; aber der alte Mann erstaunte auf das höchste, da er die Schrift las. Es war nirgends das, was auf der Vorschriftstafel stand, abgeschrieben, oder etwas geschrieben, was in die Feder gesagt worden sein konnte, oder was man sich selbst zu denken vermochte, sondern ganz andere, seltsame Worte: Burgen, Nagelein, Schwarzbach, Susein, Werdehold, Staran, zwei Engel, Zinzilein, Waldfahren, und ähnliches, dann Sätze: in die Wolken springen, die Geißel um den Stamm, Wasser, Wasser, Wasser fort, schöne Frau, schöne Frau, schöne Frau, alles leicht, alles grau, und solche Dinge noch mehrere. Der alte Mann sagte hierüber dem Lehrer gar nichts und dem wilden Mädchen auch nichts. Er gab dem Kinde die Schrift zurück, lobte es, strich den Scheitel seines rabenschwarzen Haares, das unbedeckt war, zweimal mit seiner Hand, zog aus seiner Tasche ein schönes rosenrotseidenes Band hervor und gab es dem Mädchen. Das Mädchen brachte ihm nun auch seine Tafel mit einer richtig gelösten Aufgabe. Dann ging es mit dem Bande und mit seiner Schrift und der Tafel zu der Bank auf seinen Platz. Der Lehrer sah allen diesen Dingen zu. Der alte Mann blieb bis zum Ende der Lehrzeit und ging dann mit den Kindern fort.
    Und so oft er in die Schule kam, las ihm das Mädchen vor und zeigte ihm seine Schrift und seine Rechnung.
    So verging einige Zeit.
    Eines Tages ging der alte Stephan mit Franz und Katharina im Nachmittagssonnenscheine von dem weißen Schreinerhäuschen fort. Er führte die Kinder durch die Rasenpfade an Bäumen, Gesträuchen, rauschenden Wässern und großen Steinen vorüber, er führte sie durch ein kleines wildes Gehölze, und als sie aus demselben getreten waren, lag ein sehr kleines Flecklein Korn von Gesträuchen umringt, und über dem kleinen Flecklein Korn hing unter dem unermeßlichen blauen Himmel wie eine winzige singende Ampel eine Lerche, und an dem kleinen Fleckchen Korn stand ein braunes hölzernes Häuschen, das wie ein Holzhäufchen gegen den großen grauen Stein war, der sich hinter ihm befand, und an dem Häuschen war ein holzbrauner Anbau, der wieder nur ein Holzhäufchen gegen das Häuschen war. Zu diesem hölzernen Häuschen führte der Großvater die Kinder und von dem Häuschen zu dem Zubaue. Da saß unter der Tür, in welche die helle Sonne schien, ein altes Weib und zog einen groben Faden aus der Spindel, und hinter dem alten Weibe hockte auf einer Tonne, aus dem Dunkel des winzigen Holzbaues über das alte Weib heraus blickend, wie eine Katze, das wilde Mädchen. Das alte Weib hatte einen roten Latz, einen zerrissenen grünen Rock und ein Linnenhemd um die Schultern und den Hals, das aus Alter grau war. Rings um das Weib staken in dem Holze des Anbaues, wie um ein Heiligenbild in einer Feldkapelle, Zweige, Blumen, Getreidehalme und selbst Federn. In den weißen Haaren hatte das alte Weib Blumen, gefärbte Papierstreifen, einen Büschel Hahnenfedern, und es hing das rosenrote Seidenband von den weißen Haaren hernieder, das der alte Stephan dem wilden Mädchen gegeben hatte. Das wilde Mädchen trug gar keinen Schmuck, sein Rock war auch grün und zerrissen, sein Latz war blau, und

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