Werke
Juliana in dem Schreinerhäuschen Abschied, stand aber doch des andern Tages, da der Wagen an der Mühle vorbei fuhr, am Wege und nahm noch einmal Abschied.
Und wie bisher kam der alte Stephan nun alle Sommer in die Waldhäuser, und es war, wie es immer bisher gewesen war, nur daß er das Schreinerhäuschen kaufte und verschiedene Veränderungen in ihm vornahm, und daß er jetzt gar keine Geschenke mehr, auch nicht die geringfügigsten, an Juliana oder ihre Angehörigen austeilte. Auch die Kinder brachten nichts und gaben nichts, außer was im Spielen oder Umherschweifen gegeben oder getauscht wurde.
Eine Veränderung aber trat allmählig ein, die Kinder wuchsen heran, und waren, wenn auch nicht so stark, doch fast so hoch wie erwachsene Leute. Ihre Spiele wurden ernster, und sie befaßten sich mehr mit Büchern. Sie lasen sich vor, sie zeigten sich Bilder, und sagten Sprüche her, die sie gelesen hatten. Franz trug nach und nach von den Büchern, die in dem Schreinerhäuschen waren, eine ziemliche Anzahl zu Juliana. Er las oft mit ihr allein, sie wählten hiezu häufig das Freie und lasen laut in den Fluren, im Walde, im Gesteine, und riefen Worte und Reden in die Lüfte, wenn sie so mit einander gingen oder am Saume des Waldes dahin liefen.
Dies dauerte so fort.
Eines Tages ging der alte Stephan mit seinen Enkeln früher als gewöhnlich zu dem Waldbrunnen. Er kam zu demselben nicht auf dem Pfade von dem Schreinerhäuschen, sondern von dem Walde herunter. Da sahen sie, als sie nahe genug waren, Juliana wieder auf dem hohen Steine, und konnten auch endlich Worte vernehmen, die sie rief. Sie rief mit ihrer etwas tieferen, aber klangvollen Stimme gegen die Bäume hin:
»Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen,
Denn mein Geheimnis ist eine Pflicht;
Ich möchte dir mein ganzes Innre zeigen,
Allein das Schicksal will es nicht!«
Dann rief sie nach einer Weile wieder:
»Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein,
Hangen und bangen in schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt,
Himmelhoch jauchzend, himmelhoch jauchzend, himmelhoch jauchzend!«
Den Schlußvers rief sie nicht, sondern sie rief wieder: »Himmelhoch jauchzend, himmelhoch jauchzend, himmelhoch jauchzend, himmelhoch jauchzend!«
Und wie sie den Arm dabei emporhob, drang er durch den zerrissenen Ärmel hervor und war so schön wie an einem Standbilde alter Künstlerzeit. Und ihre Gestalt wahr sehr fein und schlank.
Und sie rief wieder:
»Blumen, die der Lenz geboren,
Streu ich dir in deinen Schoß.«
Dann rief sie wieder:
»Dem Winde, dem Regen,
Dem Schnee entgegen.
Immer zu, immer zu, immer zu,
immer zu, immer zu!«
Und dann rief sie:
»Ich bilde Menschen,
Dein nicht zu achten, wie ich!«
Hierauf stieg sie von dem Felsen herunter, und Stephan ging mit seinen Enkeln zu ihr hinzu. Er sagte von ihrem Rufen nichts.
Es ging wieder eine Zeit wie gewöhnlich dahin.
Einmal waren die Kinder auf dem Anger vor dem Schreinerhäuschen und spielten. Juliana war bei ihnen. Der alte Stephan trat an das offene Fenster und sah ihnen zu. Da sah er, daß Katharina nicht da war, und daß Franz und Juliana allein waren. Plötzlich fielen sich die zwei Kinder in die Arme, umschlangen sich und küßten sich, und Juliana rief: »Liebster, liebster, liebster Franz!«
Und Franz rief: »Liebste, liebste Juliana!«
Und Juliana rief wieder: »Liebster, liebster Franz!«
Und dann ließen sie sich los, und Katharina kam um die Ecke des Häuschens herauf gerannt.
Es war ein seltsamer Anblick gewesen, wie der wohlgekleidete Knabe und das Mädchen in Lumpen sich umschlungen gehalten und geküßt hatten.
Der alte Stephan aber sagte zu sich: »Die menschliche Wesenheit ist endlich zur Entscheidung gekommen.«
Mehrere Tage nach dieser Begebenheit sagte er in der Stube des Schreinerhäuschens in der Gegenwart der Kinder zu Juliana: »Juliana, ich w erde dich, wenn ich wieder von dem Walde fort fahre, mit mir nehmen. Du wirst schöne Kleider bekommen, du wirst noch manches lernen, und wenn du das gelernt hast, wirst du Franzens Braut werden, und dann sein Eheweib.«
»Ich gehe nicht mit dir«, antwortete Juliana.
»Warum denn nicht, Juliana?« fragte Stephan.
»Weil ich die Großmutter nicht verlasse«, antwortete Juliana.
»Die Großmutter wird es dir gönnen, wenn du das Glück für dein Leben findest«, sagte Stephan.
»Großvater,« erwiderte das Mädchen, »wenn man Franz und Katharina goldene
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