Werke
bekannt,
Fing, um die Sechzig, er sich wieder an zu fühlen.
Es flatterte, von Alt und Jung begafft,
Mit Reizen ganz besondrer Kraft,
Ein Bürgermädchen in der Nachbarschaft.
Dies Bürgermädchen hieß Finette.
Finette ward des Freiherrn Siegerin.
Ihr Bild stand mit ihm auf, und ging mit ihm zu Bette.
Da dacht’ in seinem Sinn
Der Freiherr: »Und warum denn nur ihr Bild?
Ihr Bild, das zwar den Kopf, doch nicht die Arme füllt?
Sie selbst steh’ mit mir auf, und geh’ mit mir zu Bette.
Sie werde meine Frau! Es schelte, wer da schilt;
Genäd’ge Tant’ und Nicht’ und Schwägerin!
Finett’ ist meine Frau, und – ihre Dienerin.«
Schon so gewiß? Man wird es hören.
Der Freiherr kömmt, sich zu erklären,
Ergreift das Mädchen bei der Hand,
Tut, wie ein Freiherr, ganz bekannt,
Und spricht: »Ich, Freiherr von Chrysant,
Ich habe Sie, mein Kind, zu meiner Frau ersehen.
Sie wird sich hoffentlich nicht selbst im Lichte stehen.
Ich habe Guts die Hüll’ und Fülle.«
Und hierauf las er ihr, durch eine große Brille
Von einem großen Zettel ab,
Wie viel ihm Gott an Gütern gab;
Wie reich er sie beschenken wolle;
Welch großen Witwenschatz sie einmal haben solle.
Dies alles las der reiche Mann
Ihr von dem Zettel ab, und guckte durch die Brille
Bei jedem Punkte sie begierig an.
»Nun, Kind, was ist Ihr Wille?«
Mit diesen Worten schwieg der Freiherr stille,
Und nahm mit diesen Worten seine Brille –
(Denn, dacht’ er, wird das Mädchen nun
So wie ein kluges Mädchen tun;
Wird mich und sie ihr schnelles Ja beglücken;
Werd’ ich den ersten Kuß auf ihre Lippen drücken:
So könnt’ ich, im Entzücken,
Die teure Brille leicht zerknicken!) –
Die teure Brille wohlbedächtig ab.
Finette, der dies Zeit sich zu bedenken gab,
Bedachte sich, und sprach nach reiflichem Bedenken:
»Sie sprechen, gnäd’ger Herr, vom Freien und vom Schenken:
Ach! gnäd’ger Herr, das alles wär’ sehr schön!
Ich würd’ in Sammt und Seide gehn –
Was gehn? Ich würde nicht mehr gehn;
Ich würde stolz mit Sechsen fahren.
Mir würden ganze Scharen
Von Dienern zu Gebote stehn.
Ach! wie gesagt, das alles wär’ sehr schön,
Wenn ich – wenn ich – –«
» Ein Wenn? Ich will doch sehn,
(Hier sahe man den alten Herrn sich blähn,)
Was für ein Wenn mir kann im Wege stehn! «
»Wenn ich nur nicht verschworen hätte – –«
»Verschworen? was? Finette,
Verschworen nicht zu frein? –
O Grille, rief der Freiherr, Grille!«
Und griff nach seiner Brille,
Und nahm das Mädchen durch die Brille
Nochmals in Augenschein,
Und rief beständig: »Grille! Grille!
Verschworen nicht zu frein!«
»Behüte!« sprach Finette,
»Verschworen nur mir keinen Mann zu frein,
Der so, wie Ihre Gnaden pflegt,
Die Augen in der Tasche trägt!«
{ ‡ }
XIV. Nix Bodenstrom
Nix Bodenstrom, ein Schiffer, nahm –
War es in Hamburg oder Amsterdam,
Daran ist wenig oder nichts gelegen –
Ein junges Weib.
»Das ist auch sehr verwegen,
Freund!« sprach ein Kaufherr, den zum Hochzeitschmause
Der Schiffer bat. »Du bist so lang’ und oft von Hause;
Dein Weibchen bleibt indes allein:
Und dennoch – willst du mit Gewalt denn Hahnrei sein?
Indes, daß du zur See dein Leben wagst,
Indes, daß du in Surinam, am Amazonenflusse,
Dich bei den Hottentotten, Kannibalen plagst:
Indes wird sie – –«
» Mit Eurem schönen Schlusse! «
Versetzte Nix. » Indes, indes! Ei nun!
Das nämliche kann Euer Weibchen tun –
Denn, Herr, was brauchts dazu für Zeit? –
Indes ihr auf der Börse seid .«
{ ‡ }
Gotthold Ephraim Lessing
Fabeln
Drei Bücher
Nebst Abhandlungen mit dieser Dichtungsart verwandten Inhalts
Berlin (Voss) 1759.
fabeln, drei bücher
{ ‡ }
Vorrede
Erstes Buch
I. Die Erscheinung
II. Der Hamster und die Ameise
III. Der Löwe und der Hase
IV. Der Esel und das Jagdpferd
V. Zeus und das Pferd
VI. Der Affe und der Fuchs
VII. Die Nachtigall und der Pfau
VIII. Der Wolf und der Schäfer
IX. Das Roß und der Stier
X. Die Grille und die Nachtigall
XI. Die Nachtigall und der Habicht
XII. Der kriegerische Wolf
XIII. Der Phönix
XIV. Die Gans
XV. Die Eiche und das Schwein
XVI. Die Wespen
XVII. Die Sperlinge
XVIII. Der Strauß
XIX. Der Sperling und der Strauß
XX. Die Hunde
XXI. Der Fuchs und der Storch
XXII. Die Eule und der Schatzgräber
XXIII. Die junge Schwalbe
XXIV. Merops
XXV. Der Pelekan
XXVI. Der Löwe und der Tiger
XXVII. Der Stier und der
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