Werke
mittelmäßige Mühe werde angewendet haben. Ich habe ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie einige lustige Stücke des Destouches eben nicht verdorben hat. Aber wie viel leichter ist es, eine Schnurre zu übersetzen, als eine Empfindung! Das Lächerliche kann der Witzige und Unwitzige nachsagen; aber die Sprache des Herzens kann nur das Herz treffen. Sie hat ihre eigene Regeln; und es ist ganz um sie geschehen, sobald man diese verkennt, und sie dafür den Regeln der Grammatik unterwerfen, und ihr alle die kalte Vollständigkeit, alle die langweilige Deutlichkeit geben will, die wir an einem logischen Satze verlangen. Z.E. Dorimond hat dem Mericourt eine ansehnliche Verbindung, nebst dem vierten Teile seines Vermögens, zugedacht. Aber das ist das wenigste, worauf Mericourt geht; er verweigert sich dem großmütigen Anerbieten, und will sich ihm aus Uneigennützigkeit verweigert zu haben scheinen. »Wozu das? sagt er. Warum wollen Sie sich Ihres Vermögens berauben? Genießen Sie Ihrer Güter selbst; sie haben Ihnen Gefahr und Arbeit genug gekostet.« J’en jouirai, je vous rendrai tous heureux: läßt die Graffigny den lieben gutherzigen Alten antworten. »Ich will ihrer genießen, ich will euch alle glücklich machen.« Vortrefflich! Hier ist kein Wort zu viel! Die wahre nachlässige Kürze, mit der ein Mann, dem Güte zur Natur geworden ist, von seiner Güte spricht, wenn er davon sprechen muß! Seines Glückes genießen, andere glücklich machen: beides ist ihm nur eines; das eine ist ihm nicht bloß eine Folge des andern, ein Teil des andern; das eine ist ihm ganz das andere: und so wie sein Herz keinen Unterschied darunter kennet, so weiß auch sein Mund keinen darunter zu machen; er spricht, als ob er das nämliche zweimal spräche, als ob beide Sätze wahre tautologische Sätze, vollkommen identische Sätze wären; ohne das geringste Verbindungswort. O des Elenden, der die Verbindung nicht fühlt, dem sie eine Partikel erst fühlbar machen soll! Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die Gottschedin jene acht Worte übersetzt hat? »Alsdenn werde ich meiner Güter erst recht genießen, wenn ich euch beide dadurch werde glücklich gemacht haben.« Unerträglich! Der Sinn ist vollkommen übergetragen, aber der Geist ist verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn erstickt. Dieses Alsdenn, mit seinem Schwanze von Wenn; dieses Erst; dieses Recht; dieses Dadurch: lauter Bestimmungen, die dem Ausbruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der Überlegung geben, und eine warme Empfindung in eine frostige Schlußrede verwandeln.
Denen, die mich verstehen, darf ich nur sagen, daß ungefähr auf diesen Schlag das ganze Stück übersetzt ist. Jede feinere Gesinnung ist in ihren gesunden Menschenverstand paraphrasiert, jeder affektvolle Ausdruck in die toten Bestandteile seiner Bedeutung aufgelöset worden. Hierzu kömmt in vielen Stellen der häßliche Ton des Zeremoniells; verabredete Ehrenbenennungen kontrastieren mit den Ausrufungen der gerührten Natur auf die abscheulichste Weise. Indem Cenie ihre Mutter erkennet, ruft sie: »Frau Mutter! o welch ein süßer Name!« Der Name Mutter ist süß; aber Frau Mutter ist wahrer Honig mit Zitronensaft! Der herbe Titel zieht das ganze, der Empfindung sich öffnende Herz wieder zusammen. Und in dem Augenblick, da sie ihren Vater findet, wirft sie sich gar mit einem »Gnädiger Herr Vater! bin ich Ihrer Gnade wert!« ihm in die Arme. Mon pere! auf deutsch: Gnädiger Herr Vater. Was für ein respektuöses Kind! Wenn ich Dorsainville wäre, ich hätte es eben so gern gar nicht wieder gefunden, als mit dieser Anrede.
Madame Löwen spielt die Orphise; man kann sie nicht mit mehrerer Würde und Empfindung spielen. Jede Miene spricht das ruhige Bewußtsein ihres verkannten Wertes; und sanfte Melancholie auszudrücken, kann nur ihrem Blicke, kann nur ihrem Tone gelingen.
Cenie ist Madame Hensel. Kein Wort fällt aus ihrem Munde auf die Erde. Was sie sagt, hat sie nicht gelernt; es kömmt aus ihrem eignen Kopfe, aus ihrem eignen Herzen. Sie mag sprechen, oder sie mag nicht sprechen, ihr Spiel geht ununterbrochen fort. Ich wüßte nur einen einzigen Fehler; aber es ist ein sehr seltner Fehler; ein sehr beneidenswürdiger Fehler. Die Aktrice ist für die Rolle zu groß. Mich dünkt einen Riesen zu sehen, der mit dem Gewehre eines Kadetts exerzieret. Ich möchte nicht alles machen, was ich vortrefflich machen könnte.
Herr Eckhof in der Rolle des Dorimond, ist ganz Dorimond.
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