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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
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plumpesten Schmeichelei, wie mit der Türe ins Haus: Graces au ciel, voici une figure humaine! – (Eine Schmeichelei, die nicht bloß dieser Sultan, auch mancher deutscher Fürst, dann und wann etwas feiner, dann und wann aber auch wohl noch plumper, zu hören bekommen, und mit der unter zehnen neune, so gut wie der Sultan, vorlieb genommen, ohne die Beschimpfung, die sie wirklich enthält, zu fühlen.) Und so wie dieses Eingangscompliment, so das Übrige – Vous êtes beaucoup mieux, qu’il n’appartient à un Turc: vous avez même quelque chose d’un François – En vérité ces Turcs sont plaisans – Je me charge d’apprendre à vivre à ce Turc – Je ne désespère pas d’en faire quelque jour un François. – Dennoch gelingt es dem Dinge! Es lacht und schilt, es droht und spottet, es liebäugelt und mault, bis der Sultan, nicht genug, ihm zu gefallen, dem Serraglio eine neue Gestalt gegeben zu haben, auch Reichsgesetze abändern, und Geistlichkeit und Pöbel wider sich aufzubringen Gefahr laufen muß, wenn er anders mit ihr eben so glücklich sein will, als schon der und jener, wie sie ihm selbst bekennet, in ihrem Vaterlande mit ihr gewesen. Das verlohnte sich wohl der Mühe!
    Marmontel fängt seine Erzählung mit der Betrachtung an, daß große Staatsveränderungen oft durch sehr geringfügige Kleinigkeiten veranlaßt worden, und läßt den Sultan mit der heimlichen Frage an sich selbst schließen: wie ist es möglich, daß eine kleine aufgestülpte Nase die Gesetze eines Reiches umstoßen können? Man sollte also fast glauben, daß er bloß diese Bemerkung, dieses anscheinende Mißverhältnis zwischen Ursache und Wirkung, durch ein Exempel erläutern wollen. Doch diese Lehre wäre unstreitig zu allgemein, und er entdeckt uns in der Vorrede selbst, daß er eine ganz andere und weit speziellere dabei zur Absicht gehabt. »Ich nahm mir vor, sagt er, die Torheit derjenigen zu zeigen, welche ein Frauenzimmer durch Ansehen und Gewalt zur Gefälligkeit bringen wollen; ich wählte also zum Beispiele einen Sultan und eine Sklavin, als die zwei Extrema der Herrschaft und Abhängigkeit.« Allein Marmontel muß sicherlich auch diesen seinen Vorsatz während der Ausarbeitung vergessen haben; fast nichts zielet dahin ab; man sieht nicht den geringsten Versuch einiger Gewaltsamkeiten von Seiten des Sultans; er ist gleich bei den ersten Insolenzen, die ihm die galante Französin sagt, der zurückhaltendste, nachgebendste, gefälligste, folgsamste, untertänigste Mann, la meilleure pâte de mari, als kaum in Frankreich zu finden sein würde. Also nur gerade heraus; entweder es liegt gar keine Moral in dieser Erzählung des Marmontel, oder es ist die, auf welche ich, oben bei dem Charakter des Sultans, gewiesen: der Käfer, wenn er alle Blumen durchschwärmt hat, bleibt endlich auf dem Miste liegen.
    Doch Moral oder keine Moral; dem dramatischen Dichter ist es gleich viel, ob sich aus seiner Fabel eine allgemeine Wahrheit folgern läßt oder nicht; und also war die Erzählung des Marmontel darum nichts mehr und nichts weniger geschickt, auf das Theater gebracht zu werden. Das tat Favart, und sehr glücklich. Ich rate allen, die unter uns das Theater aus ähnlichen Erzählungen bereichern wollen, die Favartsche Ausführung mit dem Marmontelschen Urstoffe zusammen zu halten. Wenn sie die Gabe zu abstrahieren haben, so werden ihnen die geringsten Veränderungen, die dieser gelitten, und zum Teil leiden müssen, lehrreich sein, und ihre Empfindung wird sie auf manchen Handgriff leiten, der ihrer bloßen Spekulation wohl unentdeckt geblieben wäre, den noch kein Kritikus zur Regel generalisieret hat, ob er es schon verdiente, und der öfters mehr Wahrheit, mehr Leben in ihr Stück bringen wird, als alle die mechanischen Gesetze, mit denen sich kahle Kunstrichter herumschlagen, und deren Beobachtung sie lieber, dem Genie zum Trotze, zur einzigen Quelle der Vollkommenheit eines Drama machen möchten.
    Ich will nur bei einer von diesen Veränderungen stehen bleiben. Aber ich muß vorher das Urteil anführen, welches Franzosen selbst über das Stück gefällt haben. (17) Anfangs äußern sie ihre Zweifel gegen die Grundlage des Marmontels. »Solimann der Zweite, sagen sie, war einer von den größten Fürsten seines Jahrhunderts; die Türken haben keinen Kaiser, dessen Andenken ihnen teurer wäre, als dieses Solimanns; seine Siege, seine Talente und Tugenden, machten ihn selbst bei den Feinden verehrungswürdig, über die er

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