Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gotthold Ephraim Lessing
Vom Netzwerk:
er denn nun erst auf einmal den Teufel in mir, der sich, wo nicht in einen Engel des Lichts, doch wenigstens in einen Menschen von eben nicht dem schlimmsten Schlage verstellt hatte? Sollte ich wirklich umgeschlagen sein, seitdem ich die nämliche Luft mit ihm nicht mehr atme? Sollten mich mehrere und bessere Kenntnisse und Einsichten, die ich seit unsrer Trennung zu erlangen, eben so viel Begierde als Gelegenheit gehabt habe, nur kurzsichtiger und schlimmer gemacht haben? Sollte ich an der Klippe, die ich in dem stürmischen Alter brausender Aufwallungen vermieden habe, itzt erst nachlässig scheitern, da sanftere Winde mich dem Hafen zutreiben, in welchem ich eben so freudig zu landen hoffe, als Er? – Gewiß nicht, gewiß nicht; ich bin noch der nämliche Mensch: aber der Herr Hauptpastor betrachtet mich nicht mehr mit dem nämlichen Auge. Die Galle hat sich seiner Sehe bemeistert, und die Galle trat ihm über – Wodurch? Wer wird es glauben, wenn ich es erzähle! Tantaene animis coelestibus irae? – Doch ich muß meinen Nachtisch nicht vor der Suppe aufzehren.
    Ich komme auf die Advokatur zurück und sage: der wahre eigentliche Advokat meines Ungenannten, der mit seinem Klienten über den anhängigen Streit Ein Herz und Eine Seele wäre, bin ich also nicht, kann ich also nicht sein. Ja, ich kann auch nicht einmal der sein, der von der Gerechtigkeit der Sache seines Klienten nur eben einen kleinen Schimmer hat, und sich dennoch, entweder aus Freundschaft oder aus andern Ursachen, auf gutes Glück mit ihm auf das Meer der Chicane begibt; fest entschlossen, jeden Windstoß zu nutzen, um ihn irgendwo glücklich ans Land zu setzen. Denn der Ungenannte war mein Freund nicht; und ich wüßte auch sonst nichts in der Welt, was mich bewegen können, mich lieber mit seinen Handschriften, als mit funfzig andern abzugeben, die mir weder so viel Verdruß noch so viel Mühe machen würden: wenn es nicht das Verlangen wäre, sie so bald als möglich, sie noch bei meinen Lebzeiten widerlegt zu sehen.
    Bei Gott! die Versicherung dieses Verlangens, weil ich bis itzt noch wenig Parade damit machen wollen, ist darum keine leere Ausflucht. Aber freilich eigennützig ist dieses Verlangen; höchst eigennützig. Ich möchte nämlich gar zu gern, selbst noch etwas von der Widerlegung mit aus der Welt nehmen. Ich bedarf ihrer. Denn daß ich als Bibliothekar die Fragmente meines Ungenannten las, war nicht mehr als billig; und daß sie mich an mehrern Stellen verlegen und unruhig machten, war ganz natürlich. Sie enthalten so mancherlei Dinge, welche mein Bißchen Scharfsinn und Gelehrsamkeit gehörig auseinander zu setzen, nicht zureicht. Ich sehe hier und da, auf tausend Meilen, keine Antwort; und der Herr Hauptpastor wird sich freilich nicht vorstellen können, wie sehr eine solche Verlegenheit um Antwort ein Wahrheit liebendes Gemüt beunruhiget.
    Bin ich mir denn nun nichts? Habe ich keine Pflicht gegen mich selbst, meine Beruhigung zu suchen, wo ich sie zu finden glaube? Und wo konnte ich sie besser zu finden glauben, als bei dem Publico? Ich weiß gar wohl, daß ein Individuum seine einzelne zeitliche Wohlfahrt der Wohlfahrt mehrerer aufzuopfern schuldig ist. Aber auch seine ewige? Was vor Gott und dem Menschen kann mich verbinden, lieber von quälenden Zweifeln mich nicht befreien zu wollen, als durch ihre Bekanntmachung Schwachgläubige zu ärgern? – Darauf antworte mir der Herr Hauptpastor. –
    Allerdings habe ich keine besondere Erlaubnis gehabt, von den mir anvertrauten literarischen Schätzen auch dergleichen feurige Kohlen der Welt mitzuteilen. Ich habe diese besondere Erlaubnis in der allgemeinen mit eingeschlossen zu sein geglaubt, die mir mein gnädigster Herr zu erteilen geruhet. Habe ich durch diesen Glauben mich seines Zutrauens unwürdig bezeigt: so beklage ich mein Unglück, und bin strafbar. Gern, gern will ich auch der billigen Gerechtigkeit darüber in die Hände fallen: wenn Gott mich nur vor den Händen des zornigen Priesters bewahret!
    Und was wird dieser zornige Priester nun vollends sagen, wenn ich bei Gelegenheit hier bekenne, daß der Unbekannte selbst, an das Licht zu treten, sich nicht übereilen wollen. Daß ich ihn schon itzt an das Licht gezogen, ist nicht allein ohne seinen Willen, sondern wohl gar wider seinen Willen geschehen. Dieses läßt mich der Anfang eines Vorberichts besorgen, der mir unter seinen Papieren allerdings schon zu Gesichte gekommen war, noch ehe ich mich zu dem Dienste seines

Weitere Kostenlose Bücher