Werke
mikroskopischen Glases verlocken wollen; doch nun erst ging es ihm auch deutlich auf, daß Meister Flohs verhängnisvolles Geschenk, habe er es selbst auch gut damit gemeint, doch in jedem Betracht ein Geschenk sei, das der Hölle angehöre.
»Wie?« sprach er zu sich selbst, »ein Mensch, der die geheimsten Gedanken seiner Brüder erforscht, bringt über den diese verhängnisvolle Gabe nicht jenes entsetzliche Verhängnis, welches den ewigen Juden traf, der durch das bunteste Gewühl der Welt ohne Freude, ohne Hoffnung, ohne Schmerz, in dumpfer Gleichgültigkeit, die das Caput mortuum der Verzweiflung ist, wie durch eine unwirtbare trostlose Einöde wandelte?
Immer aufs neue hoffend, immer aufs neue vertrauend und immer wieder bitter getäuscht, wie kann es anders möglich sein, als daß Mißtrauen, böser Argwohn, Haß, Rachsucht in der Seele sich festnisten und jede Spur des wahrhaft menschlichen Prinzips, das sich ausspricht in mildem Vertrauen, in frommer Gutmütigkeit, wegzehren muß? Nein! dein freundliches Gesicht, deine glatten Worte sollen mich nicht täuschen, du, in dessen tiefem Innern vielleicht unverdienter Haß gegen mich verborgen; ich will dich für meinen Freund halten, ich will dir Gutes erzeigen, wie ich nur kann, ich will dir meine Seele erschließen, weil es mir wohl tut, und das bittre Gefühl des Augenblicks, wenn du mich enttäuschest, ist geringzuachten gegen die Freuden eines schönen vergangenen Traumes. Und selbst die wahrhaften Freunde, die es wirklich gut meinen – wie wandelbar ist des Menschen Gemüt! – Kann nicht selbst ein böses Zusammentreffen widerwärtiger Umstände, eine Mißstimmung, von der Unbill des launischen Zufalls erzeugt, in der Seele dieser Freunde einen vorübergehenden feindseligen Gedanken hervorbringen?
Und diesen Gedanken – erfaßt das unglückselige Glas, finsteres Mißtrauen erfüllt das Gemüt, und im ungerechtesten Zorn, in wahnsinniger Betörtheit stoß’ ich auch den wahren Freund von der Brust, und immer tiefer und tiefer bis in die Wurzel des Lebens frißt das tötende Gift des bösen Grolls, der mich mit allem Sein hienieden entzweit, mich mir selbst entfremdet.
Nein! Frevel, ruchloser Frevel ist es, sich wie jener gefallene Engel des Lichts, der die Sünde über die Welt brachte, gleichstellen zu wollen der ewigen Macht, die das Innere des Menschen durchschaut, weil sie es beherrscht.
Fort, fort mit der unseligen Gabe!«
Herr Peregrinus Tyß hatte das kleine Schächtelchen, worin das mikroskopische Glas befindlich, ergriffen und war im Begriff, es mit aller Gewalt gegen die Stubendecke zu schleudern.
Plötzlich saß Meister Floh in seiner mikroskopischen Gestalt, gar hübsch und anmutig anzuschauen, mit gleißendem Schuppenpanzer und den schönsten polierten goldenen Stiefeln dicht vor dem Herrn Peregrinus Tyß auf der Bettdecke. »Halt!« rief er, »halt, Verehrtester! beginnt kein unnützes Zeug! Eher würdet Ihr ein Sonnenstäubchen vernichten, als dieses kleine unvertilgbare Glas auch nur einen Fuß breit fortschaffen, solange ich in der Nähe bin. Übrigens hatte ich mich, ohne daß Ihr es merktet, schon beim ehrlichen Buchbindermeister Lämmerhirt, wie gewöhnlich, in die Falte Eurer Halsbinde versteckt und war daher Zeuge alles dessen, was sich begeben. Ebenso habe ich Euer jetziges erbauliches Selbstgespräch mit angehört und manche Lehre daraus gezogen.
Zuvörderst habt Ihr jetzt erst Euer von der wahrhaften Liebe rein beseeltes Gemüt in der glänzendsten Glorie wie einen mächtigen Strahl aus Euerm Innern hervorblitzen lassen, so daß, wie ich glaube, der höchste entscheidende Moment sich naht.
Dann habe ich auch eingesehen, daß, in Rücksicht des mikroskopischen Glases, ich in großem Irrtum befangen war. Glaubt es mir, verehrtester, geprüftester Freund, ohnerachtet ich nicht das Vergnügen habe, ein Mensch zu sein wie Ihr, sondern nur ein Floh, wiewohl kein simpler, sondern ein graduierter, meiner glorreichen Meisterschaft halber, so verstehe ich mich dennoch sehr gut auf das menschliche Gemüt und auf das Tun und Treiben der Menschen, unter denen ich ja beständig hausiere. Manches Mal kommt mir dies Treiben sehr possierlich, beinahe albern vor; nehmt das nicht übel, Verehrtester, ich sage das nur als Meister Floh. Ihr habt recht, mein Freund, es wäre ein garstiges Ding und könnte unmöglich zu Gutem führen, wenn ein Mensch dem andern so mir nichts, dir nichts durch das Gehirn schaute; dem unbefangenen heitern Floh
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