Werke
stillschweigend an die Tafel.
Man kann denken, daß die Gesellschaft nach diesem Auftritt sich vergebens mühte, die heitere Unterhaltung fortzusetzen, die vorher stattgefunden. Vorzüglich schien Charost in großer Bewegung, da eine ungewöhnliche Röte ihm ins Gesicht stieg. Er betrachtete den Marquis mit seltsamen Blicken; der Marquis schien das nicht zu bemerken, er aß und trank sehr eifrig. Die Verstimmung stieg von Minute zu Minute, und man trennte sich, als es eben zehn Uhr geschlagen. Der Herr von Preville bat den Marquis, drei Tage darauf bei ihm zu speisen, welches er zusagte. –
Die Marquise beharrte, als sie mit dem Marquis allein geblieben, im düstern, feindlichen Stillschweigen. Der Marquis fragte sie, indem er einen stolzen, gebieterischen Ton annahm, wodurch er ein so kaltes, verächtliches Betragen verdient habe.
»Geh,« erwiderte die Marquise, »geh nach Auxerre und frage die buhlerische Dirne, mit der du lebst seit langer Zeit, alle Ehre und Treue schändend, nach der Ursache meines Unwillens!« –
Der Marquis war im Innern zerschmettert, als er, was er nicht geahnt, die Marquise von seinem verbotenen Verhältnis unterrichtet fand, da er befürchten mußte, ließ die Marquise ihren Zorn nicht fahren, kam es zur Trennung, den Besitz des Schlosses Nerbonne, seine einzige Hilfsquelle, zu verlieren. Er bemühte sich, der Marquise darzutun, daß er nie in Auxerre gewesen, daß alles, was man ihr hinterbracht haben könne, boshafte, hämische Verleumdung sei; da erhob sie sich aber von ihrem Sitz und sprach, indem sie ihn mit einem entsetzlichen Blicke durchbohrte: »Elender Heuchler, bald wirst du erfahren, was eine Frau meiner Art bei solcher Schmach zu beginnen vermag!« –
Diese drohenden Worte gesprochen, entfernte sie sich in das Zimmer, wo ihre neunjährige Tochter schlief, und schloß sich ein. Der Marquis begab sich nach dem Zimmer, in dem er sonst mit seiner Gemahlin schlief, ließ sich von einem Bedienten des Hauses, namens Hybert, auskleiden und legte sich ins Bette. Am andern Morgen war er spurlos verschwunden. –
Alle Nachbarn waren in das tiefste Erstaunen versetzt über dies ganz unbegreifliche Verschwinden des Marquis. Die Marquise zeigte durchaus keine Veränderung in ihrem Betragen und versicherte, daß es sie sehr wenig kümmere, auf welche Weise der Marquis sich entfernt, den sie hoffe in ihrem ganzen Leben nicht wiederzusehen. Man erfuhr, daß der Marquis sein Pferd, seinen Mantel, seine Reitstiefeln zurückgelassen; unmöglich konnte er sich daher weit entfernt haben. Das Kammermädchen der Marquise, Margarete Mercier, hatte sich über das Verschwinden des Marquis in jener Nacht geäußert auf zweideutige Weise: das dumpfe Gerücht einer geschehenen Untat wurde lauter und lauter und klagte zuletzt die Marquise geradezu des Mordes ihres Gatten an, als jener Hybert, der, vor der Saaltür lauschend, das letzte Gespräch des Marquis mit seiner Gemahlin gehört hatte, die drohenden Worte der Marquise diesem und jenem ins Ohr sagte und hinzufügte, daß der Marquis wahrscheinlich tot sei.
Jedem, der an jenem verhängnisvollen Abend bei der Marquise gewesen, war ihr Betragen nur zu sehr aufgefallen, und was man sonst für boshafte, hämische Verleumdung gehalten, nämlich daß die Marquise mit dem Augustiner Charost in verbrecherischen Verhältnissen lebe, fand nun Glauben. Diesem Verhältnis schrieb man die Untat zu.
Nur der Herr von Preville und seine Gattin konnten sich von der Möglichkeit, daß die Marquise zu solch einer entsetzlichen Tat fähig sein solle, nicht überzeugen. Sie benutzten den Augenblick, als die kleine neunjährige Pivardiere in ihr Haus gekommen, wie es öfters zu geschehen pflegte, da die Tochter des Herrn von Preville mit jenem Kinde in gleichem Alter und dessen Gespielin war, um womöglich in das Dunkel zu schauen, in welches die Ereignisse jener Nacht gehüllt waren.
Sie nahmen das Kind beiseite und fragten es behutsam, ob ihm in der Nacht, als der Vater verschwunden, nicht etwas Besonderes begegnet sei.
Die Kleine erzählte ohne allen Rückhalt, daß die Mutter sie an dem Abend in ein ganz entlegenes Zimmer geführt und ihr geheißen, dort zu schlafen, welches sonst niemals geschehen. In der Nacht sei sie durch ein starkes Geräusch aufgeweckt worden und habe eine klägliche Stimme rufen gehört: »Gerechter Gott! – habt Mitleid – erbarmt euch meiner!« – Sie habe in großer Angst aus dem Zimmer laufen wollen, indessen die Tür
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