Werke
Speisung des ›Silbernen Lämmleins!‹ – Gnädiger Herr! – Ihr Gnaden!« –
So schrie der Wirt zum offnen Fenster heraus, aber Deodatus Schwendy (das war der junge Mann) überließ sich dem Strom der Menschenmenge, der ihn unaufhaltsam fortriß in das unfern gelegene Wirtshaus.
Dicht gedrängt stand alles in Flur und Hofraum, ein leises erwartungsvolles Geflüster lief hin und wieder. Einzelne wurden in den Saal gelassen, andere traten heraus, bald mit verstörten, bald mit nachdenklichen, bald mit frohen Gesichtern.
»Ich weiß nicht,« sprach ein alter ernster Mann, der sich mit Deodatus zugleich in eine Ecke geflüchtet hatte, »ich weiß nicht, weshalb diesem Unfug nicht von Obrigkeits wegen gesteuert wird.« »Warum?« fragte Deodatus. »Ach,« fuhr der Mann fort, »ach! Sie sind fremd, Ihnen ist daher unbekannt, daß von Zeit zu Zeit ein altes Weib herkommt, die das Publikum äfft mit wunderbaren Prophezeiungen und Orakelsprüchen. Sie hat einen großen Raben bei sich, der den Leuten über alles, was sie wissen wollen, wahr-oder vielmehr falschsagt. Denn ist es auch richtig, daß mancher Ausspruch des klugen Raben eintrifft auf sonderbare Weise, so bin ich doch überzeugt, daß er dagegen hundertmal ins Gelag hineinlügt. Sehn Sie nur die Leute an, wenn sie herauskommen, und Sie werden leicht merken, daß das Weib mit dem Raben sie ganz und gar berückt. – Muß denn in unserm, dem Himmel sei Dank! – aufgeklärten Zeitalter solch ein verderblicher Aberglaube« –
Weiter hörte Deodatus nichts von dem, was der in vollen Eifer geratene Mann schwatzte, denn eben trat der bildschöne Jüngling, totenbleich, helle Tränen in den Augen, aus dem Saal heraus, in den er vor wenigen Minuten heiter, frohlächelnd hineingegangen.
Da war es dem Deodatus, als sei hinter jenen Vorhängen, durch die die Menschen hineinschlüpften, wirklich eine dunkle, unheimliche Macht verborgen, die dem Fröhlichen die unheilbringende Zukunft enthülle und so schadenfroh jeden Genuß des Augenblicks töte. –
Und doch stieg in ihm der Gedanke auf, selbst hinzugehen und den Raben darum zu befragen, was ihm die nächsten Tage, ja die nächsten Augenblicke bringen könnten. Auf geheimnisvolle Weise war Deodatus von seinem Vater, dem alten Amadeus Schwendy, aus weiter Ferne nach Hohenflüh geschickt worden.
Hier auf die höchste Spitze des Lebens gestellt, sollte sich seine Zukunft entscheiden durch ein wunderbares Ereignis, das ihm der Vater in dunklen geheimnisvollen Worten verkündet. Mit leiblichen Augen sollte er ein Wesen schauen, das sich nur wie ein Traum in sein Leben verschlungen. Er sollte nun prüfen, ob dieser Traum, der aus einem in sein Inneres geworfenen Funken immer frischer und strahlender emporgekeimt, wirklich heraustreten dürfe in sein äußeres weltliches Treiben. Er sollte, war dieses, eingreifen mit der Tat. – Schon stand er an der Türe des Saals, schon wurden die Vorhänge gelüpft. Er hörte eine widrige krächzende Stimme, ein Eisstrom glitt durch sein Inneres, es war, als dränge ihn eine unbekannte Gewalt zurück, andere kamen ihm zuvor, und so geschah es, daß er, ohne daran zu denken, unwillkürlich die Treppe emporstieg und in ein Zimmer geriet, wo man das Mittagsmahl für die zahlreichen Gäste des Hauses bereitet hatte.
Der Wirt kam ihm freundlich entgegen. »Ei sieh da! Herr Haberland! – Nun, das ist schön. Sind Sie gleich da drüben in dem schlechten Hause, in dem ›Silbernen Lamm‹, eingekehrt, so können Sie sich doch nicht der weltberühmten Wirtstafel des ›Goldnen Bocks‹ entziehen. Ich habe die Ehre, diesen Platz für Sie zu belegen.«
Deodatus merkte wohl, daß sich der Wirt in seiner Person irrte, allein ganz und gar befangen von der großen Unlust zu sprechen, die jede heftige Anregung aus dem Innern heraus erzeugt, ließ er sich nicht darauf ein, den Irrtum aufzuklären, sondern setzte sich stillschweigend an seinen Platz. Die weise Frau war der Gegenstand des Tischgesprächs, und es herrschten die verschiedensten Meinungen, indem manche alles für ein kindisches Gaukelspiel erklärten, andere dagegen ihr in der Tat die vollkommenste Erkenntnis der geheimnisvollen Verschlingungen des Lebens zutrauten und daraus ihre Sehergabe herleiteten.
Ein kleiner, alter, etwas zu dicker Herr, der sehr oft aus einer goldnen Dose, nachdem er sie auf dem Rockärmel gerieben, Tabak nahm und dabei ungemein klug vor sich hinlächelte, meinte, der hochweise Rat, dessen geringes Mitglied
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