Werke
gräßlich: »Mord – Mord!« Von wildem Entsetzen gepackt, halb sinnlos, rannte Deodatus fort nach seiner Wohnung.
Der Wirt sagte ihm, daß währenddessen ein fremder reich gekleideter Herr mehrmals nach ihm gefragt, indem er seine Person genau beschrieben, ohne seinen Namen zu nennen, und endlich ein Billett zurückgelassen habe.
Deodatus erbrach das Billett, das ihm der Wirt einhändigte und das richtig an ihn adressiert war. Er fand folgende Worte:
»Ich weiß nicht, ob ich es unerhörte Frechheit oder Wahnsinn nennen soll, daß Sie sich hier blicken lassen. Sind Sie nicht, wie ich es jetzt glauben muß, ein ehrloser Bösewicht, so entfernen Sie sich augenblicklich aus Hohenflüh, oder erwarten Sie, daß ich Mittel finden werde, Sie von Ihrer Tollheit auf immer zu heilen.
Graf Hektor von Zelies.«
»Die Hoffnung ist der Tod, das Leben dunkler Mächte grauses Spiel!« – So murmelte Deodatus dumpf in sich hinein, als er dies gelesen. Er war entschlossen, sich durch die Drohungen eines Unbekannten, die noch dazu auf irgendeinem unerklärlichen Irrtum beruhen mußten, durchaus nicht aus Hohenflüh vertreiben zu lassen, sondern mit festem Mut, mit männlicher Kraft dem entgegenzutreten, was irgendeine dunkle Macht über ihn verhängt. Sein ganzes Inneres war erfüllt mit banger Ahnung, die Brust wollte ihm zerspringen, hinaus sehnte er sich aus den Mauern ins Freie. Die Nacht war eingebrochen, als er, eingedenk des unbekannten bedrohlichen Verfolgers, seine geladenen Pistolen einsteckte und forteilte durch das Neudorfer Tor. Schon war er auf dem freien Platz, der vor diesem Tore befindlich, als er sich von hinten gefaßt und zurückgezogen fühlte. »Eile – eile, rette Natalien, die Zeit ist da!« – So murmelte es ihm in die Ohren. Es war das gräßliche Weib, die ihn gefaßt hatte und die ihn unaufhaltsam mit sich fortriß. Ein Wagen hielt in geringer Entfernung, der Schlag war geöffnet, die Alte half ihm hinein und stieg nach. Er fühlte sich von weichen Armen umfangen, und eine süße Stimme lispelte: »Mein geliebter Freund! endlich! – endlich kommst du!« – »Natalie, meine Natalie!« So schrie er auf, indem er, halb ohnmächtig vor Entzücken, die Geliebte in die Arme schloß.
Rasch ging es nun fort; im dicken Walde schimmerte plötzlich heller Fackelglanz durch das Gebüsch. »Sie sind es,« rief die Alte; »noch einen Schritt weiter, und uns trifft Verderben!« –
Deodatus, zur Besinnung gekommen, ließ halten, stieg aus dem Wagen und schlich leise, die gespannte Pistole in der Hand, auf den Fackelglanz zu, der augenblicklich verschwand. Er eilte zurück zum Wagen, aber erstarrt vor Entsetzen, blieb er eingewurzelt stehen, als er eine männliche Figur erblickte, die mit seiner Stimme sprach: »Die Gefahr ist vorüber!« und dann einstieg.
Nachstürzen wollte Deodatus dem schnell fortrollenden Wagen, als ihn ein Schuß aus dem Gebüsch zu Boden warf.
Zweites Kapitel
Es ist nötig, dem geneigten Leser zu sagen, daß der ferne Ort, von dem her der alte Amadeus Schwendy seinen Sohn nach Hohenflüh schickte, ein Landhaus in der Gegend von Luzern war. Das Städtlein Hohenflüh im Fürstentum Reitlingen lag aber ungefähr sechs bis sieben Stunden von Sonsitz, der Residenz des Fürsten Remigius, entfernt.
Ging es in Hohenflüh laut und lustig her, so herrschte dagegen in Sonsitz solch ein allgemeines Piano wie etwa in Herrnhut oder Neusalz. Alles trat leise wie auf Socken daher, und selbst ein notwendiger Zank wurde mit gedämpfter Stimme geführt. Von den gewöhnlichen Vergnügungen der Residenz, von Bällen, Konzerten, Schauspielen war gar nicht die Rede, und wollten sich die armen, zur Traurigkeit verdammten Sonsitzer einmal vergnügen, so mußten sie hinüberziehen nach Hohenflüh. Dies alles kam daher. Fürst Remigius, sonst ein freundlicher, lebenslustiger Herr, war seit mehreren Jahren, es konnten wohl über die zwanzig sein, in furchtbar tiefe, an Wahnsinn grenzende Melancholie versenkt. Ohne Sonsitz zu verlassen, sollte sein Aufenthalt einer Einöde gleichen, in der das düstre Stillschweigen der lebensmüden Trauer herrscht. Nur seine vertrautesten Räte und die notwendigste Dienerschaft mocht’ er sehen, und selbst diese durften es nicht wagen zu sprechen, wenn der Fürst sie nicht angeredet. In einer dicht verschlossenen Kutsche fuhr er daher, und niemand durfte auch nur durch eine Gebärde merken lassen, daß er den Fürsten in der Kutsche wisse.
Über die Ursache dieser
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