Werke
nicht, sich in großer Anzahl einzufinden, und wenn sich nun der Zug der Weiber zu bewegen anfängt und der Wind sich in die großen Schleifen setzt, so ist es nicht anders, als wenn ein ganzes Heer von schwarzen Raben oder Adlern jählings wach werde und den rauschenden Flug beginnen wolle.
Der geneigte Leser wird daher gebeten, sich die hübsche Nanni in keinem andern Kopfputz als in einem niedlichen Erlanger Häubchen zu denken. –
So widerwärtig es auch dem Meister Wacht war, daß Jonathan dem Stande angehören sollte, den er haßte, so ließ er dies doch den Knaben, sowie später den Jüngling, keinesweges entgelten. Er sah es vielmehr gern, daß der stille fromme Jonathan sich nach vollendetem Tagewerk jedesmal bei ihm einfand und die Abende mit seinen Töchtern und der alten Barbara zubrachte. Dabei schrieb Jonathan die schönste Hand, die man nur sehen konnte, und es machte dem Meister Wacht, der eine schöne Handschrift liebte, nicht geringe Freude, als seine Nanni, zu deren Schreibmeister sich Jonathan selbst erkoren, nach und nach dieselbe zierliche Schrift zu schreiben begann, als ihr Meister.
Meister Wacht war an den Abenden entweder in seinem Arbeitszimmer beschäftigt, oder er besuchte manchmal ein Bierhaus, in dem er seine Handwerksgenossen und auch die Herren vom Rat antraf und nach seiner Art mit seltenem Geist die Gesellschaft belebte. Im Hause ließ indessen Barbara den Spinnrocken wacker schnurren, während Rettel die Wirtschaftsrechnung fertig schrieb, über die Bereitung neuer unerhörter Schüsseln nachsann oder mit lautem Lachen der Alten wiedererzählte, was diese, jene Frau Bas ihr heute vertraut. Und der Jüngling Jonathan? –
Der saß mit Nanni am Tisch; und die schrieb und zeichnete auch wohl unter seiner Leitung. Und doch Schreiben und Zeichnen ist für den ganzen Abend ein herzlich langweiliges Ding; und so geschah es denn, daß Jonathan oftmals ein sauber gebundenes Buch aus der Tasche zog und der schönen empfindsamen Nanni mit leiser süßlispelnder Stimme vorlas.
Jonathan hatte durch den alten Eichheimer die Gönnerschaft des jungen Domizellars erworben, der den Meister Wacht einen wahrhaften Verrina nannte. Der Domizellar, Graf von Kösel, war ein schöner Geist und lebte und webte in Goethes und Schillers Werken, die damals wie glanzvolle, alles überstrahlende Meteore am Horizont des literarischen Himmels aufzusteigen begannen. Er glaubte mit Recht in dem jungen Schreiber seines Anwalts eine gleiche Tendenz zu entdecken und fand seine besondere Freude daran, ihn dadurch, daß er ihm nicht allein jene Werke mitteilte, sondern dieselben mit ihm auch gemeinschaftlich durchlas, sich ganz zu assimilieren.
Des Grafen ganzes Herz gewann aber Jonathan dadurch, daß er die Verse, welche der Graf im Schweiße seines Angesichts aus wohlklingenden Phrasen zusammendrechselte, vortrefflich fand und zu des Grafen unaussprechlichem Vergnügen sattsam davon erbaut und gerührt wurde. Wahr ist’s indessen, daß Jonathans ästhetische Bildung wirklich durch den Umgang mit dem geistreichen und nur etwas überspannten Grafen gewann.
Der geneigte Leser weiß nun, was für Bücher Jonathan bei der hübschen Nanni aus der Tasche zog und ihr daraus vorlas, und kann selbst ermessen, wie Schriften der Art ein Mädchen, so geistig organisiert wie Nanni, anregen mußten.
»Stern der dämmernden Nacht!«
Wie flossen Nannis Tränen, wenn der liebenswürdige Schreiber also dumpf und feierlich begann!
Es ist eine bekannte Erfahrung, daß junge Leute, die oft zärtliche Duetten zusammen singen, sich selbst sehr leicht in die Person der Duettisten umsetzen und besagte Duetten für die Melodie und den Text des ganzen Lebens halten; so wie der Jüngling, der einem Mädchen einen zärtlichen Roman vorliest, sehr leicht der Held des Stücks wird, während das Mädchen sich in die Rolle der Geliebten hinüberträumt.
Bei solch gleichgestimmten Gemütern, wie Jonathan und Nanni, hätte es nicht einmal solcher Anregungen bedurft, um zueinander in Liebe zu kommen.
Die Kinder waren ein Herz und eine Seele, die Jungfrau, der Jüngling nur eine rein und unauslöschlich emporlodernde Liebesflamme. – Vater Wacht hatte von diesem Liebesverständnis seiner Tochter auch nicht die leiseste Ahnung; er sollte indessen bald alles erfahren. –
Jonathan hatte es durch unermüdeten Fleiß und wahrhaftes Talent in kurzer Zeit dahin gebracht, daß sein Rechtsstudium für vollendet geachtet und er zur Advokatur
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