Werke
sonst neu und herrlich, da bloß der Haß gegen einen Stand, den der geliebte Pflegesohn ergriffen, der einzige Hebel ist, welcher eine neue und auserlesene Tragik der Handlung in Bewegung setzen könnte; – doch zur Sache, Ihr seid Dichter, mein Freund, und dies verändert alles. Eure Liebe, Euer Leid muß Euch als poetisches Prachtstück im vollen Glanz der heiligen Dichtkunst erscheinen; Ihr vernehmt die Akkorde der Lyra, die die Euch nahe Muse anschlägt, und in göttlicher Begeisterung empfangt Ihr die geflügelten Worte, die Eure Liebe, Euer Leid aussprechen. Als Dichter seid Ihr in diesem Augenblick der glücklichste Mensch auf Erden zu nennen, da Eure tiefste Brust wirklich verwundet ist, so daß Euer Herzblut quillt; Ihr bedürft also keiner künstlichen Anregung, um Euch poetisch zu stimmen, und gebt acht: diese Zeit des Grams wird Euch Großes und Vortreffliches erzeugen lassen.
Aufmerksam muß ich Euch darauf machen, daß in diesen ersten Momenten Eurem Liebesschmerz sich ein seltsames, sehr unangenehmes Gefühl beimischen wird, das sich in keine Poesie einfügen lassen will, doch dies Gefühl verrauscht bald. Damit Ihr mich aber versteht! Wenn z.B. der unglückliche Liebhaber von dem erzürnten Vater sattsam abgeprügelt und zum Hause herausgeworfen wird, wenn die beleidigte Mama das Mägdlein in ihre Kammer sperrt und den versuchten Sturm des verzweiflungsvollen Liebhabers durch den bewaffneten Hausstand zurückschlagen läßt, wenn sogar die plebejesten Fäuste vor dem feinsten Tuch keine Scheu tragen« (der Domizellar seufzte bei diesem Worte ein wenig), »so muß diese aufgegärte Prosa der erbärmlichen Gemeinheit erst verdampfen, damit als Niederschlag der reine poetische Liebesschmerz sich setze. Ihr seid garstig ausgescholten worden, mein lieber junger Freund, und dies war die bittere zu überwindende Prosa; Ihr habt sie überwunden, ergebt Euch jetzt ganz der Poesie.
Hier habt Ihr Petrarcas Sonette, Ovids Elegien, nehmt, lest, dichtet, lest mir vor, was Ihr gedichtet habt. Vielleicht kommt unterdessen mir auch irgendein Liebesschmerz, wozu mir nicht alle Hoffnung abgeschnitten, da ich mich wahrscheinlich in eine Fremde verlieben werde, die im ›Weißen Lamm‹ auf dem Steinwege abgestiegen ist und von der der Graf Nesselstädt behauptet, sie sei die Schönheit und Anmut selbst, unerachtet er sie nur ganz flüchtig am Fenster erblickt. Dann, o Freund, wollen wir wie die Dioskuren die gleiche glanzvolle Laufbahn in Poesie und Liebesschmerz wandeln. Bemerkt, Freundchen, welchen großen Vorteil mir mein Stand gibt, der jede Liebe, die mich erfaßt, als ein nie zu erfüllendes Sehnen und Hoffen zum Tragischen hinaufsteigert. Doch nun, mein Freund, hinaus, hinaus in den Wald, wie es ziemlich.« –
Dem geneigten Leser müßte es gewiß sehr langweilig, ja unerträglich sein, wenn nun hier weitläuftig und wohl gar in allerlei überaus zierlichen Worten und Redensarten geschildert werden sollte, was Jonathan und Nanni alles in ihrem Schmerz begannen. Dergleichen findet sich in jedem schlechten Roman, und es ist oft lustig genug, wie der preßhafte Autor sich gar wunderlich gebärdet, um nur neu zu erscheinen.
Gar wichtig scheint es dagegen, den Meister Wacht auf seinem Spazier- oder vielmehr auf seinem Ideengange zu verfolgen.
Sehr merkwürdig muß es scheinen, daß ein Mann, stark und mächtig im Geiste, wie Meister Wacht, der das Entsetzlichste, was ihm geschah, und das andere minder kräftige Gemüter zermalmt haben würde, mit unerschütterlichem Mute, mit unbeugsamer Standhaftigkeit zu tragen vermochte, durch einen Vorfall außer sich gesetzt werden konnte, den jeder andere Familienvater für ein gewöhnliches, leicht zu beseitigendes Ereignis gehalten haben und auf diese oder jene, schlechte oder gute Weise es wirklich beseitigt haben würde. Gewiß ist der geneigte Leser auch der Meinung, daß dies seinen guten psychologischen Grund hatte. Nur der widerwärtige Mißklang in Wachts Seele erzeugte den Gedanken, daß die Liebe der armen Nanni zu dem unschuldigen Jonathan ein sein ganzes Leben verstörendes Unglück sei. Eben darin aber, daß dieser Mißklang überhaupt in dem harmonischen Wesen des sonst durchaus großartigen Alten forttönen konnte, lag auch die Unmöglichkeit, ihn zu dämpfen oder ganz zum Schweigen zu bringen.
Wacht hatte das weibliche Gemüt von einer einfachen, aber zugleich herrlichen und erhabenen Seite kennen gelernt. Sein eigenes Weib hatte ihn in die Tiefe des
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