Werke
wahrhaft weiblichen Wesens blicken lassen wie in einen spiegelhellen See; er kannte den weiblichen Heros, der stets mit unbesiegbaren Waffen kämpft. Sein elternloses Weib hatte die Erbschaft einer steinreichen Base, die Liebe aller ihrer Verwandten verscherzt, dem harten, ihr Leben durch manche Qual erbitternden Eindringen der Kirche mit unerschütterlichem Mut widerstanden, als sie, selbst in der katholischen Religion erzogen, den protestantischen Wacht heiratete und kurz vorher aus reiner glühender Überzeugung in Augsburg selbst zu diesem Glauben übergetreten war. Alles dieses kam dem Meister Wacht in den Sinn, und er vergoß heiße Tränen, als er gedachte, mit welchen Empfindungen er die Jungfrau zum Traualtar geführt. Nanni war ganz und gar die Mutter, Wacht liebte das Kind mit einer Inbrunst, der nichts zu vergleichen, und dieses war wohl mehr als hinreichend, jede auch nur im mindesten gewaltsam scheinende Maßregel, die Liebenden zu trennen, als abscheulich, ja als satanisch zu verwerfen. Überdachte er auf der andern Seite Jonathans ganzes Leben, so mußte er sich zugestehen, daß nicht leicht alle Tugenden eines frommen, fleißigen, bescheidenen Jünglings so glücklich vereinigt werden konnten als in Jonathan, dessen schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit vielleicht ein wenig zu weichlichen, beinahe weiblichen Zügen, dessen kleiner und schwächlicher, aber zierlicher Körperbau von einem zarten, geistvollen Innern zeugte. Überlegte er ferner, wie die beiden Kinder immer zusammen gewesen waren, wie offenbar sich ihre Gemütsart zueinander neigte, so konnte er selbst nicht begreifen, wie er das, was geschehen, nicht hatte vermuten und zur rechten Zeit Mittel ergreifen können. Nun war es zu spät. –
Durch die Berge wurde er fortgetrieben von einer sein Inneres gewaltsam zerreißenden Stimmung, die er noch nie gekannt und die er für Versuchungen des Satans zu halten geneigt war, da mancher Gedanke in seiner Seele aufstieg, der ihm im nächsten Augenblick selbst höllisch vorkommen mußte. Er konnte zu keiner Fassung, viel weniger zu irgendeinem Entschluß kommen. Schon war die Sonne im Sinken, als er in dem Dorfe Bug anlangte; er kehrte im Gasthofe ein und ließ sich etwas Gutes zu essen und eine Flasche vortreffliches Felsenbier auftragen.
»Ei! schönen guten Abend, ei! welch eine seltsame Erscheinung, den lieben Meister Wacht hier zu sehen in dem schönen Bug an dem herrlichen Sonntagsabend. Fürwahr, ich traute meinen Augen nicht. Werte Familie wahrscheinlich anderswo über Land?«
So wurde Meister Wacht von einer gellenden, quäkenden Stimme angerufen. Es war niemand anders als der Herr Pickard Leberfink, seiner Profession nach ein Lackierer und Vergolder, einer der drolligsten Menschen auf der Welt, der den Meister Wacht in seinen Betrachtungen unterbrach.
Schon Leberfinks Äußeres fiel jedem seltsam und abenteuerlich ins Auge. Er war klein, untersetzt, hatte einen etwas zu langen Leib und kurze Säbelbeinchen; dabei aber kein häßliches, gutmütiges, rundes Antlitz mit roten Bäckchen und grauen, lebhaft genug blickenden Äuglein. Täglich ging er nach einer verjährten französischen Mode hoch frisiert und gepudert; an Sonntagen war aber sein Anzug durchaus merkwürdig. So trug er z.B. einen lila und kanariengelb gestreiften seidenen Rock mit ungeheuren silbergesponnenen Knöpfen, eine buntgestickte Weste, zeisiggrüne Atlashosen, weiß und himmelblau fein gestreifte seidene Strümpfe und glänzend schwarz lackierte Schuhe, auf denen große Steinschnallen blitzten. Rechnet man dazu den zierlichen Gang des Tanzmeisters, eine gewisse katzenartige Geschmeidigkeit des Körpers, eine seltene Virtuosität der Beinchen in schicklichen Momenten, z.B. beim Überspringen einer Gasse, ein Entrechat zu schlagen, so mußte es geschehen, daß der kleine Lackierer sich überall als eine absonderliche Kreatur auszeichnete. Sein übriges Wesen wird der geneigte Leser bald kennen lernen.
Dem Meister Wacht war es gerade nicht unangenehm, auf diese Weise in seinen schmerzhaften Betrachtungen unterbrochen zu werden.
Der Lackierer und Vergolder, Herr oder besser Monsieur Pickard Leberfink, war ein großer Geck, dabei aber die treuste, ehrlichste Seele von der Welt, von der liberalsten Gesinnung, freigebig gegen Arme, dienstfertig gegen Freunde. Er trieb sein Metier nur hin und wieder aus purer Liebhaberei, da er dessen nicht bedurfte.
Er war reich; sein Vater hatte ihm ein schönes Grundstück mit einem
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