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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E.T.A. Hoffmann
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glauben; du kommst zu wenig an die frische Luft; sieh, schon lange habe ich gewünscht, daß du mir einmal mein Vesperbrot auf die Werkstatt hinausbrächtest. Tue es heute, wir haben den schönsten Abend zu erwarten. Nicht wahr, Nanni, liebes Kind, du tust es, du bereitest mir selbst die Butterwecken, das wird herrlich munden.«
    Damit nahm Meister Wacht das liebe Kind in die Arme, strich ihr die braunen Locken von der Stirne, küßte, herzte, hätschelte es, kurz, übte alle Gewalt des liebevollsten Betragens, wie es in seiner Macht stand, und dessen unwiderstehlichen Zauber er wohl kannte.
    Ein Tränenstrom entstürzte Nannis Augen, und nur mit Mühe brachte sie die Worte heraus: »Vater! Vater!«
    »Nun, nun,« sprach Wacht, und man hätte in dem Ton seiner Stimme einige Verlegenheit bemerken können, »es kann noch alles gut werden.«
    Acht Tage waren vergangen; Jonathan hatte sich natürlicherweise nicht blicken lassen und der Meister seiner mit keiner Silbe gedacht. Sonntags, als die Suppe schon dampfte und die Familie sich zu Tische setzen wollte, fragte Meister Wacht ganz heiter: »Wo bleibt denn unser Jonathan?« Rettel sprach, aus Schonung gegen die arme Nanni, halb leise: »Vater, wißt Ihr denn nicht, was geschehn! Muß Jonathan nicht Scheu tragen, sich vor Euch zu zeigen?« – »Seht den Affen,« sprach Wacht mit lachendem Ton, »Christian soll gleich hinspringen und ihn herholen.«
    Man kann denken, daß der junge Advokat nicht unterließ, sich alsbald einzustellen, aber auch, daß in den ersten Augenblicken, als er gekommen war, es über allen schwebte, wie eine düstre drückende Gewitterwolke.
    Meister Wachts unbefangenem heiterm Wesen, sowie Leberfinks drolligem Treiben gelang es indessen, einen gewissen Ton hervorzubringen, der, wenn auch gerade nicht lustig zu nennen, doch das ganze harmonische Gleichgewicht erhielt. »Laßt uns«, sprach Meister Wacht nach Tische, »ein wenig ins Freie, auf meinen Werkhof hinausgehen.« Es geschah.
    Monsieur Pickard Leberfink schmiegte sich sehr geflissentlich an Rettelchen, die die Freundlichkeit selbst war, da der höfliche Lackierer sich im Lobe der Speisen erschöpft und gestanden hatte, in seinem Leben, selbst bei den geistlichen Herrn in Banz, habe er nicht delikater gegessen. Da nun Meister Wacht, ein großes Schlüsselbund in der Hand, starken Schrittes voraneilte, mitten durch den Werkhof, so kam der junge Advokat von selbst in Nannis Nähe. Verstohlne Seufzer, leis hingehauchte Liebesklagen, das war alles, was die Liebenden wagten.
    Meister Wacht blieb vor einem schönen neugezimmerten Tore stehen, das in der Mauer, die Wachts Werkhof von dem Garten des Kaufmanns trennte, angebracht war.
    Er schloß das Tor auf und schritt hinein, indem er die Familie einlud, ihm zu folgen. Alle, Herrn Pickard Leberfink ausgenommen, welcher gar nicht aus dem schlauen Lächeln und leisen Kichern herauskam, wußten nicht recht, was sie von dem Alten denken sollten. Mitten in dem schönen Garten war ein sehr geräumiger Pavillon gelegen, auch diesen öffnete Meister Wacht, schritt hinein und blieb in der Mitte des Saals stehen, aus dessen jedem Fenster man einer andern romantischen Aussicht genoß.
    »Ich,« sprach Meister Wacht mit einem Ton, der von dem innig erfreuten Herzen zeugte, »ich stehe hier in meinem Eigentum, der schöne Garten ist mein, er mußte mein sein, nicht um mein Grundstück zu vergrößern, nicht den Reichtum meines Besitzes zu vermehren, nein, weil ich wußte, daß ein gewisses herziges Ding sich so nach diesen Bäumen, Büschen, nach diesen schönen duftenden Blumenbeeten sehnte.«
    Da warf sich Nanni dem Alten an die Brust und rief: »O! Vater, Vater! du zerreißest mir das Herz mit deiner Milde, mit deiner Güte, sei barm –« »Still, still,« unterbrach Meister Wacht das leidende Kind, »sei nur gut, es kann sich alles fügen auf wunderbare Weise; in diesem kleinen Paradiese ist viel Trost zu finden.« »Ja wohl, ja wohl,« rief Nanni wie begeistert, »o! ihr Bäume, ihr Büsche, ihr Blumen, ihr fernen Berge, du schönes fliehendes Abendgewölk, mein ganzes Gemüt lebt in euch, ich finde mich selbst wieder, wenn eure lieblichen Stimmen mich trösten.« –
    Damit sprang Nanni wie ein junges flüchtiges Reh zur offenen Tür des Pavillons hinaus ins Freie, und der junge Advokat, den wohl in diesem Augenblick keine Macht zurückgehalten haben würde, verfehlte nicht, eiligst zu folgen. Monsieur Pickard Leberfink bat sich die Erlaubnis aus,

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