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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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vorkommen. So war es immer zugegangen, und er sagte sich: »Wir sind nicht die ersten, die es so machen, und werden nicht die letzten sein.« Herr Goljadkin erinnerte sich hierbei sehr apropos flüchtig an einen Roman, den er schon vor langer Zeit einmal gelesen hatte, wo die Heldin ihrem Alfred in ganz ähnlicher Lage das verabredete Zeichen dadurch gab, daß sie ein rosa Band ans Fenster knüpfte. Aber ein rosa Band konnte jetzt zur Nachtzeit und bei dem durch seine Feuchtigkeit und Unzuverlässigkeit bekannten Petersburger Klima nicht zur Anwendung kommen; das war, kurz gesagt, völlig unmöglich. »Nein, seidene Strickleitern kommen hier nicht in Frage,« hatte unser Held gedacht, als er auf den Hof kam; »ich werde mich lieber hierher stellen, ganz allein, bescheiden und in der Stille... z. B. hier an diesen Platz,« und er hatte sich ein Plätzchen auf dem Hofe ausgesucht, den Fenstern gerade gegenüber, bei einem aufgeschichteten Holzhaufen. Allerdings gingen auf dem Hofe viele fremde Leute umher, Stallknechte, Kutscher; dazu rasselten die Räder, schnaubten die Pferde usw.; aber trotzdem war der Platz wohlgeeignet: ob man ihn nun bemerkte oder nicht, jetzt wenigstens war der Vorteil der, daß die Sache gewissermaßen im Schatten vor sich ging und niemand Herrn Goljadkin sah, während er selbst geradezu alles sehen konnte. Die Fenster waren hell erleuchtet; es war eine vornehme Gesellschaft bei Olsufi Iwanowitsch. Musik war übrigens noch nicht zu hören. »Also findet kein Ball statt, sondern es sind aus irgendwelchem andern Anlaß Gäste geladen,« dachte unser Held beklommenen Herzens. »Aber sollte es denn auch heute sein?« ging es ihm durch den Kopf; »liegt auch kein Irrtum im Datum vor? Es könnte doch sein; möglich ist alles ... Vielleicht war der Brief gestern geschrieben, gelangte aber gestern nicht in meine Hände, und zwar deswegen nicht, weil sich Petruschka da hineingemischt hat, dieser Halunke! Oder er war morgen geschrieben, d. h. es stand darin, daß ich ... daß ich erst morgen alles tun sollte, d. h. mit dem Wagen warten sollte ...« Hier überlief es unsern Helden ganz kalt, und er griff in die Tasche, um den Brief herauszuholen und die Sache festzustellen. Aber zu seiner Verwunderung fand sich der Brief in der Tasche nicht vor. »Wie geht das zu?« flüsterte Herr Goljadkin mehr tot als lebendig. »Wo habe ich ihn nur gelassen? Also habe ich ihn verloren? Das hat noch gefehlt!« stöhnte er schließlich. »Wenn er nun aber jetzt in schlechte Hände fällt? (Ja, vielleicht ist er schon in schlechte Hände gefallen!) Herr Gott! Was kann das für Folgen haben! Die Folge wird sein, daß ... O über mein unglückseliges Schicksal!« Hier begann Herr Goljadkin wie Espenlaub zu zittern bei dem Gedanken, daß vielleicht sein unehrenhafter Zwillingsbruder, als er ihm den Mantel auf den Kopf warf, dabei gerade die Absicht verfolgt habe, den Brief zu entwenden, von dessen Existenz er irgendwie durch Herrn Goljadkins Feinde Wind bekommen habe. »Er wird ihn als Beweisstück weggenommen haben,« dachte unser Held; »und was für ein schwerwiegendes Beweisstück ist er! ...« Nach dem ersten Anfall des Schreckens und der Erstarrung stieg Herrn Goljadkin das Blut in den Kopf. Stöhnend und zähneknirschend griff er sich an seine glühende Stirn, ließ sich auf seinen Holzklotz niedersinken und begann über etwas nachzudenken. Aber die Gedanken in seinem Kopfe vermochten nicht an einem Gegenstande haften zu bleiben. Irgendwelche Persönlichkeiten huschten vor seinem geistigen Auge vorüber; irgendwelche längst vergessenen Ereignisse kamen ihm bald undeutlich, bald klar ins Gedächtnis; irgendwelche Melodien dummer Lieder gingen ihm durch den Kopf... Es war eine Pein, eine unnatürliche Pein! »Mein Gott, mein Gott!« dachte unser Held, als er einigermaßen zur Besinnung kam, und suchte das dumpfe Schluchzen in seiner Brust zu ersticken, »gib mir festen Mut bei der unergründlichen Tiefe meines Unglücks! Daß ich verloren bin, ganz vernichtet bin, daran kann kein Zweifel mehr bestehen, und das liegt ganz im natürlichen Laufe der Dinge; es kann eben nicht anders sein. Erstens habe ich meine Stelle verloren, unbedingt verloren, ich mußte sie mit Notwendigkeit verlieren ... Nun, einigermaßen werde ich allerdings auch dann zurechtkommen. Mein Geld reicht fürs erste aus: ich nehme mir eine andere, kleine Wohnung ... Petruschka wird nicht mehr bei mir sein. Ich kann mich auch ohne diesen Halunken

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