Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
dir davon abfallen?«
»Na, dann werde ich ihn melden; die Zunge wird mir davon nicht abfallen. Aber er hat es verboten; wie gesagt, er hat es verboten. Kommen Sie in das Zimmer dort!«
Herr Goljadkin trat in das erste Zimmer; auf dem Tische stand eine Uhr. Er blickte danach hin: es war halb neun. Das Herz in der Brust schmerzte ihn. Er wollte schon umkehren; aber gerade in diesem Augenblicke rief der langaufgeschossene Diener, auf der Schwelle des folgenden Zimmers stehend, mit lauter Stimme Herrn Goljadkins Namen aus. »Hat der eine Kehle!« dachte unser Held in unbeschreiblicher Beklemmung. »Er hätte doch sagen sollen: ›So und so, er ist gekommen, um sich untertänigst und ganz ergebenst auszusprechen... hm... haben Sie die Güte ihn zu empfangen!‹ Aber jetzt ist die Sache verdorben; meine ganze Angelegenheit ist zunichte geworden. Übrigens...ja...nun, es macht nichts...« Indes war zu Überlegungen keine Zeit. Der Diener wandte sich um, sagte: »Bitte, treten Sie näher!« und führte Herrn Goljadkin in das Arbeitszimmer.
Als unser Held eintrat, hatte er eine Empfindung, als sei er blind geworden; denn er sah absolut nichts ... Nur zwei oder drei Gestalten flimmerten undeutlich vor seinen Augen. »Na ja, das sind die Gäste,« fuhr es ihm durch den Kopf. Endlich begann unser Held den Stern auf dem schwarzen Fracke Seiner Exzellenz deutlich zu unterscheiden; dann gelangte er stufenweise dazu, auch den schwarzen Frack zu erkennen; schließlich gewann er die volle Sehkraft wieder ...
»Was gibt es?« sagte eine bekannte Stimme über dem gebeugt dastehenden Herrn Goljadkin.
»Titularrat Goljadkin, Exzellenz.«
»Nun? ...«
»Ich bin gekommen, um mich auszusprechen ...«
»Wie? ... Was?«
»Ja, so ist es. Hm ... ich bin gekommen, um mich auszusprechen, Exzellenz ...«
»Aber Sie ... wer sind Sie doch?«
»Herr Gol-gol-goljadkin, Exzellenz, Titularrat.«
»Nun, also was wünschen Sie?«
»Nämlich ... hm ... ich nehme die Behörde zu meinem Vater an; ich selbst werde mich von dieser Angelegenheit ganz zurückziehen, und beschützen Sie mich vor meinem Feinde ... Das wollte ich sagen.«
»Was bedeutet das?«
»Es ist bekannt ...«
»Was ist bekannt?«
Herr Goljadkin schwieg; sein Kinn begann ein wenig zu zucken.
»Nun?«
»Ich hielt es für ritterlich, Exzellenz ... Ich meinte, das sei hier ritterlich, und nehme meinen hohen Vorgesetzten zu meinem Vater an ... ja, hm ... beschützen Sie mich, ich fl-flehe darum mit Trä-änen, und daß solche Be-bestrebungen unter-unter-unterstützt werden mü-müßten ...«
Seine Exzellenz wandte sich ab. Unser Held konnte eine kurze Zeit mit den Augen nichts unterscheiden. Die Brust war ihm wie zusammengepreßt. Er konnte kaum atmen. Er wußte nicht, wo er stand ... Scham und Trauer erfüllten sein Herz. Dann war er eine Weile ganz benommen ... Als unser Held wieder zu sich kam, bemerkte er, daß Seine Exzellenz mit seinen Gästen sprach und mit ihnen anscheinend in entschiedenem, energischem Tone etwas erörterte. Einen von den Gästen erkannte Herr Goljadkin sofort. Das war Andrei Filippowitsch; den andern erkannte er nicht, indessen kam ihm das Gesicht ebenfalls bekannt vor; es war eine hohe, kräftige Gestalt, ziemlich bejahrt, mit sehr dichten Augenbrauen, starkem Backenbart und scharfem, ausdrucksvollem Blicke. Am Halse trug der Unbekannte einen Orden; im Munde hatte er eine Zigarre stecken. Der Unbekannte rauchte und nickte, ab und zu nach Herrn Goljadkin hinblickend, bedeutsam mit dem Kopfe, ohne die Zigarre aus dem Munde zu nehmen. Herrn Goljadkin wurde das einigermaßen unbehaglich; er wandte seine Augen zur Seite und erblickte dort noch einen sehr sonderbaren Gast. In einer Tür, die unser Held bis dahin für einen Spiegel gehalten hatte, wie ihm das manchmal begegnete, erschien er, – der Leser weiß schon, wer: der sehr nahe Bekannte und Freund des Herrn Goljadkin. Herr Goljadkin der jüngere hatte sich wirklich bisher in einem anderen, kleinen Zimmer befunden und war damit beschäftigt gewesen, schnell etwas zu schreiben; jetzt erschien er, weil dies offenbar nötig geworden war, mit Papieren unter dem Arme, trat zu Seiner Exzellenz heran, und in der Absicht, die Aufmerksamkeit ausschließlich auf seine Person zu lenken, brachte er es fertig, sich in das Gespräch und die Beratung einzudrängen. Seinen Platz hatte er nicht weit hinter Andrei Filippowitschs Rücken genommen, zum Teil verdeckt durch den Unbekannten, der eine Zigarre rauchte.
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