Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
behelfen ... ich lebe dann eben als Chambregarnist; nun gut! Dann kann ich auch kommen und gehen, wann ich Lust habe, und kein Petruschka wird darüber brummen, daß ich zu spät nach Hause komme. Ja, so ist das; das ist ein Vorzug des Chambregarnistentums ... Nun, das ist ja allerdings alles ganz gut; aber warum rede ich gar nicht über das, worauf es ankommt?« Hier erhellte der Gedanke an die gegenwärtige Lage wieder Herrn Goljadkins Gedächtnis. Er blickte um sich. »Ach, Herr du mein Gott! Herr du mein Gott! Wovon rede ich denn da jetzt?« dachte er ganz verstört und griff sich an den glühenden Kopf ...
»Wollen Sie nicht bald fahren, Herr?« sagte eine Stimme über dem Kopfe des dasitzenden Herrn Goljadkin. Herr Goljadkin fuhr zusammen; vor ihm stand sein Kutscher, ebenfalls völlig durchnäßt und durchfroren; vor Ungeduld und Langerweile war er auf den Gedanken gekommen, sich einmal nach Herrn Goljadkin hinter dem Holzhaufen umzusehen.
»Ich weiß nicht, mein Freund ... ich werde bald fahren, mein Freund, sehr bald, sehr bald; warte noch ein bißchen! ...«
Der Kutscher ging, etwas vor sich hin brummend, wieder weg. »Was mag er da brummen?« dachte Herr Goljadkin, und die Tränen kamen ihm in die Augen. »Ich habe ihn doch für den ganzen Abend genommen; also kann ich ... hm ... ich bin jetzt in meinem Rechte ... so ist das! Ich habe ihn für den ganzen Abend genommen; also ist die Sache in Ordnung. Wenn er auch so dasteht, das ist ganz gleich. Das hängt alles von meinem Belieben ab. Wenn ich fahren will, kann ich fahren, und wenn ich nicht fahren will, kann ich es unterlassen. Und wenn ich hier hinter dem Holze stehe, so ist auch dagegen nichts einzuwenden ... und er darf sich nicht erdreisten, etwas darüber zu sagen; wenn der Herr Lust hat, hinter dem Holze zu stehen, nun, dann steht er eben hinter dem Holze ... und damit befleckt er niemandes Ehre; so ist das! Ja, so ist das, mein Fräulein, wenn Sie es wissen wollen. Und in einer Hütte, mein Fräulein, hm, in einer Hütte lebt in unserem Zeitalter niemand. So ist das! Und ohne Moralität kann man in unserem Zeitalter der Industrie nichts erreichen, mein Fräulein; dafür dienen Sie selbst jetzt als trauriges Beispiel ... Also Ihrer Meinung nach soll ich das Amt eines Tischvorstehers bekleiden und in einer Hütte am Gestade des Meeres leben. Erstens, mein Fräulein, gibt es am Gestade des Meeres keine Tischvorsteher, und zweitens können wir beide mir keine Stelle als Tischvorsteher verschaffen. Denn gesetzt z.B. ich reiche eine Bittschrift ein und sage darin: ›So und so, ich bitte, mich zum Tischvorsteher zu machen und mich vor meinem Feinde zu schützen ...‹, dann werden Sie merken, mein Fräulein, daß es viele Tischvorsteher gibt, und daß Sie hier nicht bei der Emigrantin Falbala sind, wo Sie Moralität gelernt haben, wofür Sie selbst als trauriges Beispiel dienen. Moralität, mein Fräulein, das bedeutet: zu Hause sitzen, seinen Vater ehren und nicht vorzeitig an Freier denken. Die Freier, mein Fräulein, werden sich zur rechten Zeit schon finden; so ist das! Gewiß, man muß unstreitig auch allerlei Fertigkeiten und Kenntnisse besitzen, als da sind: ein bißchen Klavierspielen, Französisch sprechen, Geschichte, Geographie, Religion und Rechnen, – so ist das! Aber mehr ist nicht vonnöten. Dazu kommt noch die Küche; zu dem Wissensgebiete eines jeden wohlgesitteten Mädchens gehört unbedingt auch die Küche! Aber was wird mit Ihnen werden? Erstens, mein schönes gnädiges Fräulein, wird man Sie nicht so einfach davonlassen, sondern eine Verfolgung veranstalten und Sie, wenn man Sie attrapiert hat, in ein Kloster stecken. Was dann, mein Fräulein? Was befehlen Sie mir dann zu tun? Befehlen Sie mir, mein Fräulein, nach Anweisung einiger dummer Romane auf einen nahegelegenen Hügel zu gehen und, nach den kalten Mauern Ihres Gefängnisses hinblickend, in Tränen zu zerfließen und schließlich so zu sterben, gemäß der Vorschrift einiger verdrehter deutscher Dichter und Romanschriftsteller? Ja, mein Fräulein? Aber gestatten Sie mir, Ihnen in aller Freundschaft zu sagen, erstens, daß die Dinge sich nicht in dieser Weise vollziehen, und zweitens, daß ich am liebsten Sie und Ihre Eltern gehörig dafür durchhauen möchte, daß sie Ihnen französische Bücher zu lesen gegeben haben; denn aus französischen Büchern kann man nichts Gutes lernen. In denen steckt Gift, verderbliches Gift, mein Fräulein! Oder denken Sie etwa (gestatten
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