Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
hatte, und der Vater gab dem Boten sogleich einen Rubel; der Mann ging mit einer höflichen Verbeugung fort. Inzwischen war die Mutter einen Augenblick hinausgegangen und brachte nun ein Plätteisen, suchte die beste Chemisette des Vaters heraus und plättete sie. Sie band ihm selbst eine weiße Bastistkrawatte um den Hals, die seit undenklichen Zeiten in seiner Garderobe für besondere Fälle aufbewahrt worden war, zusammen mit dem schwarzen, allerdings schon recht abgetragenen Frack, der damals angefertigt worden war, als er seine Stellung beim Theater angetreten hatte. Als der Vater mit seiner Toilette fertig war, nahm er seinen Hut; aber ehe er hinausging, bat er noch um ein Glas Wasser; er war blaß und mußte sich in einer Anwandlung von Schwäche auf einen Stuhl setzen. Das Wasser mußte ich ihm reichen; vielleicht hatte sich doch wieder ein feindseliges Gefühl in das Herz meiner Mutter gestohlen, und die erste warme Aufwallung hatte sich abgekühlt.
Der Vater war hinausgegangen; wir waren allein geblieben. Ich drückte mich in eine Ecke und sah meine Mutter lange schweigend an. Ich hatte sie noch nie in solcher Aufregung gesehen: ihre Lippen zitterten, ihre sonst blassen Wangen brannten, und von Zeit zu Zeit lief ihr ein Zucken durch alle Glieder. Endlich löste sich ihr Leid in Klagen und dumpfes Schluchzen auf.
„Ich, nur ich bin daran schuld, ich Unglückliche!“ sagte sie zu sich selbst. „Was wird aus ihr werden? Was wird aus ihr werden, wenn ich sterbe?“ fuhr sie fort und blieb, von diesem Gedanken wie vom Blitz getroffen, mitten im Zimmer stehen. „Netotschka! Mein Kind! Du mein armes Kind! Du Unglückliche!“ sagte sie, ergriff mich an den Händen und umarmte mich krampfhaft. „Was wird nach meinem Tode aus dir werden, wenn ich nicht einmal bei meinen Lebzeiten imstande bin, dich zu erziehen und zu behüten? Ach, du verstehst mich nicht! Oder verstehst du mich? Wirst du an das denken, was ich dir jetzt gesagt habe, Netotschka? Wirst du künftig daran denken?“
„Ja, das werde ich, Mamachen!“ sagte ich, die Hände faltend in flehendem Tone.
Sie hielt mich lange fest mit den Armen umschlungen, als wenn sie vor dem Gedanken zitterte, daß sie sich von mir werde trennen müssen. Das Herz wollte mir brechen.
„Mama! Mamachen!“ sagte ich weinend, „warum ... warum hast du den Papa nicht lieb?“ Ich konnte vor Schluchzen nicht weitersprechen.
Ein Stöhnen entrang sich ihrer Brust. Dann begann sie, von einem neuen schrecklichen Grame gequält, im Zimmer auf und ab zu gehen.
„Mein armes, armes Kind! Und ich habe gar nicht gemerkt, wie sie heranwuchs! Sie weiß, weiß alles! Mein Gott! Was hat sie für Eindrücke empfangen, was für ein Beispiel vor Augen gesehen!“ Und wieder rang sie verzweifelt die Hände.
Dann trat sie zu mir und küßte mich in unsinniger Liebe, küßte meine Hände, überströmte sie mit ihren Tränen, flehte mich um Verzeihung an ... Ich habe nie in meinem Leben so tiefes Leid gesehen ... Zuletzt schien sie von aller Qual ganz matt geworden zu sein und versank in Geistesabwesenheit. So verging eine ganze Stunde. Dann stand sie auf, müde und erschöpft, und sagte mir, ich solle mich schlafen legen. Ich ging in meinen Winkel und wickelte mich in meine Decke ein; aber ich konnte nicht einschlafen. Der Gedanke an sie und an den Vater quälte mich. Ungeduldig wartete ich auf die Rückkehr des letzteren. Eine große Angst befiel mich bei dem Gedanken an ihn. Eine halbe Stunde darauf nahm die Mutter ein Licht und trat zu mir, um zu sehen, ob ich schliefe. Um sie zu beruhigen, machte ich die Augen zu und stellte mich schlafend. Nachdem sie mich betrachtet hatte, ging sie leise zum Schranke, öffnete ihn und goß sich ein Glas Branntwein ein. Sie trank es aus und legte sich schlafen; das brennende Licht ließ sie auf dem Tische stehen und die Tür ließ sie offen, wie das immer geschah, wenn der Vater erst spät nach Hause kam.
Ich lag wie bewußtlos da; aber kein Schlaf schloß mir die Augen. Kaum waren sie mir zugefallen, so wachte ich wieder auf und schrak infolge eines schrecklichen Traumes zusammen. Meine Angst stieg immer höher. Ich wollte schreien; aber der Schrei erstarb in meiner Brust. Endlich (es war schon spät in der Nacht) hörte ich, wie unsere Tür geöffnet wurde. Ich erinnere mich nicht, wieviel Zeit verging; aber als ich auf einmal die Augen ganz öffnete, sah ich den Vater. Er schien mir furchtbar blaß zu sein. Er saß auf einem Stuhle dicht
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