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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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von der Art, wie ich sie später zu hören Gelegenheit gehabt habe! Das waren nicht die Töne einer Geige, sondern es war, als ob eine schreckliche Menschenstimme zum erstenmal in unserer düsteren Behausung ertöne. Oder waren meine Empfindungen falsch und krankhaft oder meine Gefühle durch alles, was ich mit angesehen und mit angehört hatte, erschüttert und auf furchtbare, qualvolle Eindrücke vorbereitet: jedenfalls bin ich fest überzeugt, daß ich Gestöhn, menschliches Schreien und Weinen hörte; tiefste Verzweiflung kam in diesen Tönen zum Ausdruck, und als endlich der furchtbare Schlußakkord erklang, in welchem bittere Tränen, schreckliche Qual und hoffnungsloser Gram sich vereinigten, da konnte ich mich nicht mehr halten, ein Zittern überfiel mich, die Tränen stürzten mir aus den Augen, und mit einem entsetzlichen, verzweifelten Schrei stürzte ich zu meinem Vater hin und umschlang ihn mit meinen Armen. Er schrie auf und ließ die Geige sinken.
    Eine Weile stand er wie betäubt da. Endlich begannen seine Augen nach allen Seiten herumzufahren und herumzulaufen; er schien etwas zu suchen; auf einmal nahm er die Geige, holte mit ihr über meinem Kopfe aus ... noch einen Augenblick, und er hätte mich vielleicht auf der Stelle erschlagen.
    „Papachen!“ rief ich ihn an. „Papachen!“
    Er zitterte wie Espenlaub, als er meine Stimme hörte, und trat zwei Schritte zurück.
    „Ach! Also du bist noch übriggeblieben! Also ist noch nicht alles zu Ende! Also du bist noch bei mir geblieben!“ rief er und hob mich an den Schultern in die Luft.
    „Papachen!“ rief ich von neuem; „um Gottes willen, ängstige mich nicht so! Ich fürchte mich!“
    Mein Weinen war ihm überraschend. Er stellte mich sachte wieder auf den Fußboden und sah mich eine Weile schweigend an, wie wenn er mich erkenne und sich an etwas erinnere. Endlich schien es, als gehe eine Umwandlung in ihm vor, als erschrecke ihn ein furchtbarer Gedanke: Tränen stürzten aus seinen trüben Augen; er beugte sich zu mir herab und sah mir starr in das Gesicht.
    „Papachen!“ sagte ich, ganz fassungslos vor Angst zu ihm; „sieh mich nicht so an, Papachen! Laß uns von hier weggehen! So schnell wie möglich! Wir wollen weggehen, wir wollen fliehen!“
    „Ja, wir wollen fliehen, wir wollen fliehen! Es ist Zeit! Komm, Netotschka! Schnell, schnell!“ Und er geriet in hastige Bewegung, wie wenn er sich erst jetzt darüber klargeworden wäre, was er zu tun habe. Eilig blickte er rings um sich, und als er auf dem Fußboden ein der Mutter gehöriges Tuch liegen sah, hob er es auf und steckte es in die Tasche; dann sah er eine Haube, hob sie ebenfalls auf und steckte sie zu sich, wie wenn er sich für eine weite Reise versorgte und alles mitnähme, was er brauchte.
    Ich zog mich in größter Geschwindigkeit an und suchte gleichfalls eilig alles zusammen, was mir für die Reise notwendig schien.
    „Hast du alles? Hast du alles?“ fragte der Vater. „Ist alles bereit? Schnell, schnell!“
    Ich band eilig ein Bündel zusammen, warf ein Tuch über den Kopf, und wir wollten schon beide hinausgehen, als mir auf einmal einfiel, wir müßten das Bild mitnehmen, das an der Wand hing. Der Vater war sofort damit einverstanden. Jetzt war er ruhig, sprach flüsternd und trieb mich nur an, schnell zu kommen. Das Bild hing sehr hoch; wir trugen beide einen Stuhl herbei, stellten dann eine Fußbank darauf, kletterten auf diese hinauf und nahmen endlich nach langer Mühe das Bild ab. Nun war alles zu unserer Reise bereit. Er nahm mich bei der Hand, und wir wollten schon gehen, als der Vater mich plötzlich zurückhielt. Er rieb sich lange die Stirn, wie wenn er sich an etwas erinnern wollte, was noch nicht getan sei. Endlich schien ihm eingefallen zu sein, was noch nötig sei; er holte die Schlüssel hervor, die unter dem Kopfkissen der Mutter lagen, und begann eilig, etwas in der Kommode zu suchen. Endlich kehrte er zu mir zurück und brachte etwas Geld, das er in der Schublade gefunden hatte.
    „Hier, da, nimm es, hebe es auf!“ flüsterte er mir zu. „Verliere es nicht, hörst du, hörst du?“
    Er legte mir zuerst das Geld in die Hand; dann nahm er es mir wieder heraus und steckte es mir in den Busen. Ich erinnere mich, daß ich zusammenfuhr, als dieses Silber meinen Körper berührte; es war mir, als begriffe ich erst in diesem Augenblicke, was Geld eigentlich war. Nun waren wir wieder fertig; aber er hielt mich auf einmal von neuem an.
    „Netotschka“,

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