Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
unterstanden, sie dir zu zeigen?“
„Ich habe sie mir selbst angesehen“, erwiderte Katja in festem Tone.
„Nun gut! Du sagst nichts gegen andere aus; ich kenne dich. Was weiter?“
„Und da hat sie zu weinen angefangen und gesagt, warum ich über ihren Papa und über ihre Mama spottete.“
„Also du hast über sie gespottet?“
Obgleich Katja nicht geradezu gespottet hatte, so war das doch ihre Absicht gewesen, und ich hatte ihre Worte gleich von vornherein so aufgefaßt. Sie antwortete keine Silbe, gab also ebenfalls ihr Vergehen zu.
„Geh augenblicklich zu ihr hin und bitte sie um Verzeihung!“ sagte der Fürst, indem er auf mich zeigte.
Die Prinzessin stand blaß wie Leinwand da und rührte sich nicht vom Flecke.
„Nun?“ sagte der Fürst.
„Ich will nicht“, erwiderte Katja endlich halblaut mit sehr entschlossener Miene.
„Katja!“
„Nein, ich will nicht, ich will nicht!“ schrie sie plötzlich mit funkelnden Augen und stampfte dabei mit den Füßen. „Ich will nicht um Verzeihung bitten, Papa. Ich kann sie nicht leiden. Ich mag nicht mehr mit ihr zusammen wohnen ... Ich kann nichts dafür, daß sie den ganzen Tag weint. Ich will nicht, ich will nicht!“
„Komm mit mir!“ sagte der Fürst, ergriff sie bei der Hand und nahm sie mit in sein Arbeitszimmer. „Netotschka, geh nach oben!“
Ich wollte dem Fürsten nacheilen und für Katja Fürsprache einlegen; aber der Fürst wiederholte seinen Befehl in strengem Tone, und ich ging, ganz kalt vor Schreck, mehr tot als lebendig, nach oben. Als ich in unser Zimmer kam, fiel ich auf das Sofa und bedeckte das Gesicht mit den Händen. Ich zählte die Minuten und wartete mit Ungeduld auf Katja, der ich mich zu Füßen werfen wollte. Endlich kehrte sie zurück, ging, ohne ein Wort zu mir zu sagen, an mir vorbei und setzte sich in eine Ecke. Ihre Augen waren gerötet, die Wangen von Tränen geschwollen. Meine ganze Entschlossenheit schwand dahin. Ich sah sie voller Angst an und konnte mich nicht von der Stelle rühren.
Ich klagte aus aller Kraft mich selbst an und suchte mir zu beweisen, daß ich an allem schuld sei. Tausendmal wollte ich zu Katja hingehen, und tausendmal hielt ich an, da ich nicht wußte, wie sie es aufnehmen werde. So verging ein Tag und ein zweiter Tag. Am Abend des zweiten Tages wurde Katja heiterer und fing an, ihren Reifen durch die Zimmer zu treiben, stellte aber ihr Amüsement bald wieder ein und setzte sich allein in eine Ecke. Vor dem Schlafengehen wendete sie sich plötzlich zu mir und machte sogar zwei Schritte auf mich zu, und ihre Lippen öffneten sich, um etwas zu mir zu sagen; aber sie hielt dann doch inne, drehte sich um und legte sich ins Bett. Nach diesem Tage verging noch ein Tag, und die erstaunte Madame Léotard begann endlich, Katja ins Verhör zu nehmen, was mit ihr geschehen sei; ob sie auch nicht krank sei, da sie plötzlich verstummt wäre. Katja gab irgendeine ausweichende Antwort und griff nach ihrem Federball; aber kaum hatte Madame Léotard sich umgedreht, als sie errötete und zu weinen anfing. Sie lief aus dem Zimmer, damit ich es nicht sehen sollte. Und endlich erfolgte die Krisis: gerade drei Tage nach unserem Streite kam sie plötzlich nach dem Mittagessen auf mein Zimmer und trat schüchtern auf mich zu.
„Papa hat mir befohlen, dich um Verzeihung zu bitten“, sagte sie. „Verzeihst du mir?“
Schnell ergriff ich Katja bei beiden Händen und sagte atemlos vor Erregung:
„Ja, ja!“
„Papa hat mir befohlen, dich zu küssen; willst du mich küssen?“
Zur Antwort fing ich an, ihr die Hände zu küssen, wobei ich sie mit meinen Tränen benetzte. Als ich Katja genauer anblickte, nahm ich an ihr eine ungewöhnliche Erregung wahr. Ihre Lippen bebten leise; das Kinn zuckte; die Augen waren feucht; aber sie bezwang ihre Erregung augenblicklich, und für einen Moment zeigte sich ein Lächeln auf ihren Lippen.
„Ich will hingehen und meinem Papa sagen, daß ich dich geküßt und um Verzeihung gebeten habe“, sagte sie leise, als ob sie für sich eine Überlegung anstellte. „Ich habe ihn schon drei Tage lang nicht gesehen; er hat mir verboten zu ihm zu kommen, ehe ich das nicht getan hätte“, fügte sie nach kurzem Stillschweigen hinzu.
Nach diesen Worten ging sie schüchtern und nachdenklich nach unten, wie wenn sie sich noch nicht sicher wäre, wie der Vater sie empfangen werde.
Aber nach einer Stunde tönte Schreien, Lärm, Lachen und das Gebell Falstaffs nach oben hinauf; es
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