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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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niemanden auf der Welt. Es fehlte nur noch, daß Sie sich ihr gegenüber damit rühmten, daß Sie eine Prinzessin sind und sie nicht. Ich werde Sie jetzt allein lassen. Denken Sie über das, was ich Ihnen gesagt habe, nach, und bessern Sie sich!“
    Die Prinzessin dachte zwei volle Tage lang nach. Zwei Tage lang hörte man sie nicht mehr lachen und schreien. Wenn ich in der Nacht aufwachte, hörte ich, wie sie sich sogar im Traume mit Madame Léotard herumstritt. Sie wurde in diesen beiden Tagen sogar ein bißchen magerer, und die Röte spielte nicht mehr so lebhaft auf ihrem klaren Gesichtchen. Endlich trafen wir uns beide am dritten Tage unten in den großen Zimmern. Die Prinzessin kam von ihrer Mutter; aber als sie mich erblickte, blieb sie stehen und setzte sich mir gegenüber. Ich wartete voll Angst, was nun kommen werde, und zitterte an allen Gliedern.
    „Netotschka, warum bin ich um deinetwillen gescholten worden?“ fragte sie endlich.
    „Nicht um meinetwillen, liebe Katja!“ antwortete ich, indem ich mich eilig zu rechtfertigen suchte.
    „Aber Madame Léotard sagt, ich hätte dich gekränkt.“
    „Nein, liebe Katja, nein, du hast mich nicht gekränkt.“
    Die Prinzessin zuckte die Schultern zum Zeichen, daß sie nicht daraus klug werden könne.
    „Warum weinst du denn immer?“ fragte sie nach einem kurzen Stillschweigen.
    „Ich werde nicht mehr weinen, wenn es dir zuwider ist“, antwortete ich unter Tränen. Sie zuckte wieder die Achseln.
    „Hast du auch früher immer geweint?“
    Ich gab keine Antwort.
    „Warum wohnst du bei uns?“ fragte die Prinzessin plötzlich nach einer nochmaligen kleinen Pause.
    Ich sah sie erstaunt an und fühlte eine Art von Stich im Herzen.
    „Weil ich eine Waise bin“, erwiderte ich endlich, mich zusammennehmend.
    „Hattest du einen Papa und eine Mama?“
    „Ja.“
    „Nun, und hatten die dich nicht lieb?“
    „O ja, sie hatten mich lieb“, antwortete ich mit Anstrengung.
    „Waren sie arm?“
    „Ja.“
    „Sehr arm?“
    „Ja.“
    „Haben sie dir keinen Unterricht erteilt?“
    „Sie haben mich lesen gelehrt.“
    „Hattest du Spielzeug?“
    „Nein.“
    „Gab es bei euch Kuchen?“
    „Nein.“
    „Wieviele Zimmer waren bei euch?“
    „Eins.“
    „Ein Zimmer?“
    „Ja.“
    „Aber es war doch Dienerschaft da?“
    „Nein, die war nicht da.“
    „Aber wer besorgte denn alles?“
    „Ich ging selbst einkaufen.“
    Die Fragen der Prinzessin verwundeten mein Herz immer mehr und mehr. All diese Erinnerungen und das Gefühl der Vereinsamung ergriffen mich schmerzlich; das Erstaunen der Prinzessin hatte für mich etwas Verletzendes; das Herz blutete mir. Ich zitterte vor Erregung am ganzen Leibe und erstickte fast vor Tränen.
    „Du bist also wohl froh darüber, daß du bei uns wohnst?“
    Ich schwieg.
    „Hattest du gute Kleider?“
    „Nein.“
    „Schlechte?“
    „Ja.“
    „Ich habe deine Kleider gesehen; sie sind mir gezeigt worden.“
    „Warum fragst du mich denn dann?“ sagte ich; ein neues, mir bisher unbekanntes Gefühl ließ mich erzittern, und ich erhob mich von meinem Platze. „Warum fragst du mich denn dann?“ fuhr ich fort, indem ich vor Unwillen errötete. „Warum spottest du über mich?“
    Die Prinzessin wurde blutrot und stand gleichfalls auf; aber im nächsten Augenblicke bezwang sie ihre Erregung.
    „Nein ... ich spotte nicht über dich“, antwortete sie. „Ich wollte nur wissen, ob es wahr ist, daß dein Papa und deine Mama arm waren.“
    „Warum fragst du mich nach meinem Papa und nach meiner Mama?“ sagte ich und fing in tiefem Seelenschmerz an zu weinen. „Warum fragst du nach ihnen in dieser Weise? Was haben sie dir getan, Katja?“
    Katja stand in Verwirrung da und wußte nicht, was sie antworten sollte. In diesem Augenblicke trat der Fürst ein. „Was ist dir, Netotschka?“ fragte er, als er mich angesehen und meine Tränen bemerkt hatte. „Was ist dir?“ fragte er mich noch einmal mit einem Blick auf Katja, die feuerrot dastand. „Wovon habt ihr gesprochen? Worüber habt ihr euch gezankt? Netotschka, worüber habt ihr euch gezankt?“
    Aber ich konnte nicht antworten. Ich ergriff die Hand des Fürsten und küßte sie unter Tränen.
    „Katja, sage die Wahrheit: was hat es hier gegeben?“
    Katja verstand nicht zu lügen.
    „Ich habe gesagt, daß ich gesehen habe, was sie für schlechte Kleider gehabt hat, als sie noch bei ihrem Papa und bei ihrer Mama wohnte.“
    „Wer hat sie dir gezeigt? Wer hat sich

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