Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
war. Und da vor allem ich ihr in die Augen fiel und meine unfreiwillige Vereinsamung sie befremdete, so wandte sie sich geradezu an die Prinzessin und schalt sie, daß sie nicht mit mir umzugehen verstehe. Die Prinzessin zog die Augenbrauen zusammen, zuckte mit den Schultern und erklärte, sie könne mit mir nichts anfangen; ich verstände kein einziges Spiel und dächte immer nur nach; sie wolle lieber auf ihren Bruder Alexander warten (dieser sollte nächstens aus Moskau eintreffen); dann würden sie beide sich viel besser miteinander amüsieren.
Aber Madame Léotard war mit einer solchen Antwort nicht zufrieden und bemerkte ihr, sie lasse mich allein, obwohl ich doch noch krank sei; ich könne nicht so lustig und ausgelassen sein wie Katja, und das sei übrigens auch recht gut; denn Katja sei gar zu wild; sie habe dies und das getan und vorgestern die Bulldogge so gereizt, daß diese sie beinah aufgefressen habe; kurz, Madame Léotard schalt sie erbarmungslos aus und schickte sie schließlich zu mir mit dem Befehl, sich sofort mit mir auszusöhnen.
Katja hörte Madame Léotards Scheltrede mit großer Aufmerksamkeit an, als ob sie wirklich darin etwas Neues und Richtiges finde. Sie warf den Reifen, den sie im Saale umhergetrieben hatte, hin, trat auf mich zu, blickte mich ernst an und fragte erstaunt:
„Willst du vielleicht mitspielen?“
„Nein“, antwortete ich; ich war, während Madame Léotard schalt, um meinetwillen und um Katjas willen in Angst gewesen.
„Was willst du denn machen?“
„Ich werde ein Weilchen still sitzen; das Laufen fällt mir schwer; sei mir nur nicht böse, Katja; ich habe dich doch so lieb.“
„Nun, dann werde ich allein spielen“, antwortete Katja leise und stockend; sie schien mit Verwunderung zu bemerken, daß sich diesmal ihre Schuldlosigkeit herausstellte. „Nun, dann adieu; ich bin dir nicht böse.“
„Adieu!“ antwortete ich, stand auf und gab ihr die Hand.
„Vielleicht magst du mich küssen?“ fragte sie nach kurzem Nachdenken, wahrscheinlich in Erinnerung an unsere neuliche Szene und in dem Wunsche, mir nach Möglichkeit etwas Angenehmes zu erweisen, um die Sache recht schnell mit mir in Eintracht zu Ende zu bringen.
„Wie du willst“, antwortete ich mit schüchterner Hoffnung.
Sie trat zu mir heran und küßte mich ganz ernsthaft, ohne zu lächeln. Nachdem sie auf diese Weise alles ausgeführt hatte, was von ihr verlangt worden war, ja sogar, um dem armen Mädchen ein Vergnügen zu machen, noch mehr getan hatte, als nötig war, lief sie zufrieden und vergnügt von mir weg, und bald ertönte von neuem in allen Zimmern ihr Lachen und Schreien, bis sie sich ermüdet und beinah atemlos auf das Sofa warf, um sich zu erholen und neue Kräfte zu sammeln. Den ganzen Abend über sah sie mich mißtrauisch an: wahrscheinlich kam ich ihr sehr seltsam und wunderlich vor. Offenbar wollte sie gern mit mir über etwas reden und über einen Zweifel, der ihr in betreff meiner aufgestiegen war, ins klare kommen, beherrschte sich aber diesmal, ich weiß nicht warum. Katjas Unterricht begann gewöhnlich am Vormittag. Madame Léotard unterrichtete sie im Französischen. Der ganze Unterricht bestand in der Repetition der Grammatik und in der Lektüre Lafontaines. Allzuviel Unterricht erhielt sie nicht, weil man nur mit Mühe ihre Bereitwilligkeitserklärung hatte erlangen können, täglich zwei Stunden lang beim Buche zu sitzen. In diesen Vertrag hatte sie schließlich auf Bitten des Vaters und auf Befehl der Mutter eingewilligt und erfüllte ihn nun sehr gewissenhaft, weil sie selbst ihr Wort gegeben hatte. Sie besaß seltene Fähigkeiten; sie begriff schnell und leicht. Aber auch dabei lagen in ihrem Wesen kleine Sonderbarkeiten: wenn sie etwas nicht verstand, so begann sie sogleich selbst darüber nachzudenken und mochte sich nicht dazu verstehen, um eine Erklärung zu bitten; sie schien sich dessen zu schämen. Sie quälte sich, wie mir erzählt wurde, manchmal ganze Tage lang mit irgendeiner Schwierigkeit herum, die sie nicht lösen konnte, wurde ganz ärgerlich darüber, daß sie sie nicht allein, ohne fremde Hilfe, zu bewältigen vermochte, und wandte sich nur im äußersten Falle, wenn ihre Kräfte schon ganz erschöpft waren, an Madame Léotard mit der Bitte, ihr bei der Aufhellung eines schwierigen Punktes behilflich zu sein, die ihr nicht gelingen wollte. Und so war sie in ihrem ganzen Tun. Sie dachte schon viel nach, obgleich es auf den ersten Blick nicht den
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