Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
mit dem Füßchen, ging ärgerlich und nachdenklich weg und setzte sich auf das Sofa.
Zehn Minuten darauf hatte sie sich ein neues Lockmittel ersonnen; sie ging sogleich hinaus und kehrte mit einem Vorrat von Kringeln und Kuchen zurück; kurz, sie hatte die Waffen gewechselt. Aber Falstaff zeigte sich gleichgültig dagegen, weil er wahrscheinlich zu satt war. Er blickte nicht einmal nach dem Stück Kringel hin, das sie ihm vorwarf; als aber die Prinzessin von neuem an die geheiligte Grenze herankam, erfolgte Opposition, und zwar jetzt energischer als das erstemal. Falstaff hob den Kopf in die Höhe, fletschte die Zähne, knurrte leise und machte eine kleine Bewegung, als wenn er sich zum Aufstehen anschicken wollte. Die Prinzessin wurde rot vor Zorn, warf den Kuchen hin und setzte sich von neuem auf ihren Platz.
Sie befand sich offenbar in großer Erregung. Ihr Füßchen schlug fortwährend auf den Teppich; ihre Bäckchen waren feuerrot, und Tränen des Ärgers waren ihr in die Augen getreten. Zufällig blickte sie mich an, und alles Blut stieg ihr in den Kopf. Entschlossen sprang sie auf und ging festen Schrittes gerade auf den furchtbaren Hund los.
Vielleicht wirkte in diesem Augenblicke das Erstaunen zu stark auf Falstaff. Er ließ den Feind über die Linie, und erst in einer Entfernung von zwei Schritten warnte er die unbesonnene Katja durch ein sehr unheilverkündendes Knurren. Katja blieb einen Augenblick stehen, aber auch nur einen Augenblick; dann ging sie entschlossen vorwärts. Ich war starr vor Schreck. Die Prinzessin befand sich in einer so gehobenen Stimmung, wie ich sie an ihr noch nie gesehen hatte; ihre Augen blitzten vor Siegesfreude und Triumphgefühl. Sie hätte ein wundervolles Gemälde abgegeben. Kühn hielt sie den drohenden Blick des wütenden Hundes aus und schrak nicht vor seinem furchtbaren Rachen zurück; er richtete sich ein wenig auf. Aus seiner haarigen Brust ertönte ein schreckliches Knurren; noch ein Augenblick, und er schien sie zerreißen zu wollen. Aber die Prinzessin legte stolz ihr Händchen auf ihn und streichelte ihm dreimal triumphierend den Rücken. Eine Sekunde lang war der Hund unentschlossen. Dieser Augenblick war der furchtbarste. Aber auf einmal erhob er sich schwerfällig von seinem Platze, reckte sich und ging, wahrscheinlich in der Erwägung, daß es nicht der Mühe wert sei, sich mit Kindern abzugeben, sehr ruhig aus dem Zimmer. Die Prinzessin stand triumphierend auf dem eroberten Platze und warf mir einen unbeschreiblichen Blick zu, einen vom Siege gesättigten und berauschten Blick. Aber ich war bleich wie Leinwand; sie bemerkte dies und lächelte. Indes überzog auch ihre Wangen jetzt eine Totenblässe. Sie vermochte kaum bis zum Sofa zu gelangen und fiel halb ohnmächtig darauf nieder.
Aber meine leidenschaftliche Zuneigung zu ihr kannte keine Grenzen mehr. Von dem Tage an, wo ich so viel Angst um ihretwillen ausgestanden hatte, konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich verging vor Sehnsucht; tausendmal war ich nahe daran, ihr um den Hals zu fallen; aber die Angst schmiedete mich regungslos an meinem Platze fest. Ich erinnere mich, daß ich Katja zu vermeiden suchte, damit sie meine Aufregung nicht gewahr würde; aber wenn sie dann unvermutet in das Zimmer trat, in das ich mich versteckt hatte, fuhr ich zusammen, und das Herz begann mir so stark zu schlagen, daß mir schwindlig wurde. Ich glaube, daß die Mutwillige dies bemerkte und ein paar Tage lang sich selbst in einer gewissen Verlegenheit befand. Aber bald gewöhnte sie sich auch an diese Ordnung der Dinge. So verging ein ganzer Monat, während dessen ich im stillen litt. Meine Gefühle besitzen eine Art von unerklärlicher Dehnbarkeit, wenn man sich so ausdrücken kann; meine Natur ist geduldig bis zum äußersten Grade, so daß ein Ausbruch, ein plötzliches Sichtbarwerden meiner Gefühle erst im alleräußersten Falle eintritt. Man muß wissen, daß ich mit Katja in dieser ganzen Zeit kaum ein paar Worte gewechselt hatte; aber an einigen fast unmerklichen Anzeichen erkannte ich allmählich, daß das bei ihr nicht eine Folge von Achtlosigkeit oder von Gleichgültigkeit gegen mich war, sondern auf absichtlicher Vermeidung beruhte, gerade als wenn sie sich fest vorgenommen hätte, mich in bestimmten Grenzen zu halten. Ich aber konnte nachts nicht mehr schlafen und bei Tage meine Verwirrung nicht einmal mehr vor Madame Léotard verbergen. Meine Liebe zu Katja brachte mich sogar zu manchen
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