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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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nach oben zu kommen und unverzüglich seinen berechtigten Rachedurst zu stillen! Aufheulend vor Freude, die Zähne fletschend und triumphierend, stürmte das furchtbare Tier pfeilschnell nach oben.
    Sein Ansturm war so heftig, daß ein ihm im Wege stehender Stuhl, an den er im Laufe anstieß, mehrere Ellen weit zurückfuhr und sich um sich selbst drehte. Falstaff flog dahin wie eine Kanonenkugel, die aus dem Rohre des Geschützes fahrt. Madame Léotard schrie vor Schreck auf. Aber Falstaff war schon zu der geheiligten Tür gelangt, schlug mit beiden Vorderpfoten dagegen, konnte sie jedoch nicht öffnen und heulte nun aus voller Kehle. Als Antwort darauf ertönte von innen das furchtbare Angstgeschrei der alten Jungfer. Aber schon liefen von allen Seiten ganze Legionen von Feinden herbei, das ganze Haus stürzte nach oben; und dem grimmigen Falstaff wurde geschickt ein Maulkorb über den Rachen geworfen; man fesselte ihm alle vier Beine, und so kehrte er, an einem Fangstrick geschleift, ruhmlos vom Schlachtfelde zurück.
    Es wurde ein Bote zur Fürstin gesandt.
    Diesmal war die Fürstin nicht geneigt, zu verzeihen und Gnade walten zu lassen; aber wer sollte bestraft werden? Sie erriet es sofort, auf den ersten Blick; ihre Augen fielen auf Katja ... Es war wirklich so: Katja stand ganz blaß und vor Furcht zitternd da. Erst jetzt kamen der Armen die Folgen ihres Streiches zum Bewußtsein. Der Verdacht konnte ja auf Unschuldige, auf die Dienerschaft fallen, und Katja war schon im Begriff, die ganze Wahrheit zu sagen.
    „Bist du daran schuld?“ fragte die Fürstin in strengem Tone.
    Ich sah Katjas Totenblässe, trat vor und sagte mit fester Stimme: „Ich habe Falstaff hinaufgelassen ... aus Versehen“, fügte ich hinzu, weil meine ganze Kühnheit vor dem drohenden Blicke der Fürstin dahinschwand.
    „Madame Léotard, bestrafen Sie sie exemplarisch!“ sagte die Fürstin und verließ das Zimmer.
    Ich blickte nach Katja hin: sie stand da wie betäubt; die Arme hingen ihr schlaff an den Seiten herab; das blaß gewordene Gesichtchen blickte zu Boden.
    Die einzige Strafe, die bei den Kindern des Fürsten zur Anwendung gebracht wurde, bestand in der Einschließung in ein leeres Zimmer. In einem leeren Zimmer ein paar Stunden lang zu sitzen, das ist weiter nicht schlimm. Aber wenn ein Kind zwangsweise, gegen seinen Willen, eingeschlossen und ihm dabei erklärt wird, daß es der Freiheit beraubt sei, dann ist eine solche Strafe recht empfindlich. Gewöhnlich wurden Katja oder ihr Bruder auf zwei Stunden eingeschlossen. Ich wurde auf vier Stunden eingesperrt, in Anbetracht der Ungeheuerlichkeit meines Vergehens. Innerlich jauchzend vor Freude betrat ich mein Gefängnis. Ich dachte an die Prinzessin. Ich wußte, daß ich gesiegt hatte. Aber statt der vier Stunden saß ich dort bis vier Uhr morgens. Das ging so zu.
    Zwei Stunden nach meiner Einschließung erhielt Madame Léotard die Nachricht, daß ihre Tochter aus Moskau angekommen und plötzlich erkrankt sei und sie zu sprechen wünsche. Madame Léotard fuhr weg, ohne an mich zu denken. Das Dienstmädchen, das bei uns die Aufwartung hatte, nahm wahrscheinlich an, daß ich bereits herausgelassen sei. Katja war nach unten gerufen worden und mußte dort bei ihrer Mutter bis elf Uhr abends sitzen. Als sie zurückkehrte, wunderte sie sich sehr darüber, daß ich nicht im Bette lag. Das Mädchen kleidete sie aus und brachte sie zu Bette; aber die Prinzessin hatte ihre Gründe, sich nicht nach mir zu erkundigen. Sie legte sich hin und wartete auf mich, da sie bestimmt wußte, daß ich auf vier Stunden eingeschlossen war, und annahm, daß unsere Wärterin mich herbringen werde. Aber Nastja hatte mich vollständig vergessen, um so mehr, da ich mich immer allein auszog. Auf diese Weise kam ich dazu, in dem Arrestlokale die Nacht zuzubringen.
    Um vier Uhr morgens hörte ich, daß heftig an die Tür meines Zimmers geklopft wurde. Ich schlief, auf dem Fußboden liegend, erwachte nun und schrie zunächst vor Angst auf; aber dann erkannte ich sogleich Katjas Stimme, die am lautesten von allen ertönte, dann Madame Léotards Stimme, dann die der erschrockenen Nastja, dann die der Haushälterin. Endlich wurde die Tür aufgeschlossen, und Madame Léotard umarmte mich mit Tränen in den Augen und bat mich um Verzeihung, daß sie mich vergessen habe. Ich warf mich, ganz in Tränen aufgelöst, ihr um den Hals. Ich zitterte vor Kälte, und von dem Liegen auf dem nackten Fußboden taten mir alle

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