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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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heraufkam, um nach ihr zu sehen, bemerkte ich, daß Katja unnatürliche Anstrengungen machte, um heiter zu scheinen. Aber sowie die Mutter hinausgegangen war und wir allein geblieben waren, brach sie plötzlich in Tränen aus. Ich war davon überrascht. Die Prinzessin bemerkte, daß ich sie beobachtete, und ging hinaus. Kurz, es bereitete sich in ihr eine unerwartete Krisis vor. Die Fürstin beriet mit den Ärzten und ließ täglich Madame Léotard zu sich rufen, um sie bis auf das kleinste über Katja auszufragen; sie gab Befehl, Katja auf Schritt und Tritt zu beobachten. Ich war die einzige, die die Wahrheit ahnte, und mein Herz schlug stark vor freudiger Hoffnung.
    Kurz, dieser kleine Roman war an die entscheidende Wendung gelangt und näherte sich seinem Ende. Am dritten Tage, nachdem Katja zu uns nach oben zurückgekehrt war, bemerkte ich, daß sie mich den ganzen Vormittag über mit so wunderlichen Blicken lange ansah. Einige Male begegneten sich unsere Blicke, und jedesmal wurden wir beide rot und schlugen die Augen nieder, wie wenn wir uns voreinander schämten. Schließlich begann die Prinzessin zu lachen und ging von mir fort. Es schlug drei, und wir wurden zum Spaziergang angezogen. Auf einmal trat Katja zu mir.
    „Dein Schuhband ist aufgegangen“, sagte sie zu mir. „Zeig her, ich werde es dir zubinden!“
    Ich wollte mich selbst bücken und war kirschrot geworden vor Freude darüber, daß Katja wieder mit mir sprach.
    „Zeig her!“ sagte sie ungeduldig und lachte dabei auf. Dann bückte sie sich, faßte meinen Fuß mit Gewalt, stellte ihn auf ihr Knie und brachte das Schuhband wieder in Ordnung. Mir stockte der Atem; ich wußte nicht, was ich vor süßem Schreck tun sollte. Als sie mit dem Schuhbande fertig war, stand sie auf und musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen. „Hier ist noch der Hals frei“, sagte sie und berührte mit dem Fingerchen einen entblößten Teil meines Halses. „Zeig her; ich werde dir das Tuch selbst umbinden.“
    Ich sträubte mich nicht. Sie band mir das Halstuch auf und dann so, wie sie es für gut hielt, wieder zu.
    „Sonst kannst du dir einen Husten holen“, sagte sie schlau lächelnd und mich mit ihren schwarzen, feuchtschimmernden Augen anblitzend.
    Ich war wie benommen; ich wußte nicht, was mit mir vorging, und was mit Katja vorgegangen war. Aber unser Spaziergang dauerte, Gott sei Dank, nicht lange; sonst hätte ich mich nicht mehr beherrschen können und hätte sie auf der Straße umarmt und geküßt. Als wir die Treppe hinaufgingen, gelang es mir jedoch, sie heimlich auf die Schulter zu küssen. Sie bemerkte es, zuckte zusammen, sagte aber kein Wort. Am Abend wurde sie schön gekleidet und nach unten geführt; es war Besuch bei der Fürstin. Aber an diesem Abend entstand im Hause eine schreckliche Aufregung.
    Katja bekam einen Nervenanfall. Die Fürstin war außer sich vor Schreck. Der Arzt kam und wußte nicht, was er dazu sagen sollte. Natürlich schob man alles auf eine sich vorbereitende Kinderkrankheit oder auch auf Katjas Wachstum; aber ich war darüber anderer Ansicht. Am nächsten Morgen erschien Katja bei uns so wie immer: rotbäckig, heiter und vollständig gesund, aber mit solchen Launen und so wunderlichen Einfallen, wie sie bei ihr vorher noch nie vorgekommen waren.
    Erstens gehorchte sie den ganzen Vormittag Madame Léotard nicht. Dann bekam sie auf einmal Lust, zu der alten Prinzessin zu gehen. Die alte Dame, die ihrer Großnichte nicht sehr zugetan war, beständig mit ihr auf dem Kriegsfuße lebte und sie sonst nie sehen mochte, entschloß sich diesmal ganz gegen ihre Gewohnheit, sie zu empfangen. Anfangs ging alles gut, und sie verbrachten die erste Stunde in voller Eintracht. Die schelmische Katja hatte den Einfall gehabt, um Verzeihung für alle ihre Missetaten zu bitten, für ihre Wildheiten und für ihr Schreien, wodurch sie so oft die Ruhe der alten Dame gestört hatte. Die alte Prinzessin verzieh ihr feierlich und unter Tränen. Aber das unartige Mädchen beabsichtigte noch weiter zu gehen. Es war ihr in den Sinn gekommen, solche Schelmenstreiche zu erzählen, die sie noch nicht ausgeführt, sondern erst ersonnen und projektiert hatte. Katja spielte die Demütige, Zerknirschte, Reuige; kurz, die alte fromme Dame war entzückt, und es schmeichelte in hohem Grade ihrer Eitelkeit, daß sie so den Sieg über Katja davontragen sollte, über diesen Abgott des ganzen Hauses, über diese Kleine, deren Launen sich sogar die Mutter fügen

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