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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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Knochen weh. Ich suchte Katja mit den Augen; aber sie war in unser Schlafzimmer gelaufen; dort sprang sie ins Bett, und als ich hinkam, schlief sie schon oder stellte sich schlafend. Sie war, während sie mich am Abend erwartete, unversehens eingeschlafen und erst gegen vier Uhr morgens aufgewacht. Da hatte sie dann einen furchtbaren Alarm geschlagen und die inzwischen zurückgekehrte Madame Léotard, die Wärterin und die sämtlichen Dienstmädchen geweckt und mich befreit.
    Am Morgen erfuhren alle im Hause von meiner Einschließung; selbst die Fürstin sagte, es sei mit mir zu streng verfahren worden. Was aber den Fürsten betrifft, so sah ich ihn an diesem Tage zum erstenmal im Leben zornig. Er kam um zehn Uhr morgens in starker Erregung nach oben.
    „Aber ich bitte Sie“, sagte er zu Madame Léotard, „was tun Sie? Wie sind Sie mit dem armen Kinde umgegangen? Das ist ja Barbarei, die reine Barbarei! Ein krankes, schwächliches Kind, ein schreckhaftes Mädchen mit lebhaft arbeitender Phantasie, und Sie sperren es eine ganze Nacht in ein dunkles Zimmer ein! Damit richten Sie das Kind ja zugrunde! Kennen Sie denn nicht sein Vorleben? Das ist Barbarei, das ist unmenschlich, sage ich Ihnen, Madame! Wie kann man eine solche Strafe verhängen? Wer hat eine solche Strafe ausgedacht? Wer hat es fertiggebracht, eine solche Strafe auszudenken?“
    Die arme Madame Léotard begann mit Tränen in den Augen und in großer Verwirrung, ihm die ganze Sache zu erklären und sagte ihm, sie habe mich vergessen, weil ihre Tochter angekommen sei; aber die Strafe an und für sich sei gut, wenn sie nicht zu lange ausgedehnt werde, und sogar Jean Jacques Rousseau spreche sich in ähnlichem Sinne aus.
    „Jean Jacques Rousseau, Madame! Aber Jean Jacques Rousseau durfte das nicht sagen. Jean Jacques ist keine Autorität. Jean Jacques Rousseau hätte sich nicht erdreisten sollen, über Erziehung zu reden; er hatte kein Recht dazu. Jean Jacques Rousseau hat sich seiner eigenen Kinder entäußert, Madame! Jean Jacques war ein schlechter Mensch, Madame!“
    „Jean Jacques Rousseau! Jean Jacques ein schlechter Mensch! Fürst! Fürst! Was sagen Sie da?“
    Madame Léotard war Feuer und Flamme.
    Madame Léotard war eine prächtige Frau und neigte ganz und gar nicht dazu, etwas übelzunehmen; aber wenn jemand es wagte, einen ihrer Lieblinge anzutasten, den klassischen Schatten eines Corneille, eines Racine zu beunruhigen, Voltaire zu beleidigen, Jean Jacques Rousseau einen schlechten Menschen, einen Barbaren zu nennen, o Gott! so etwas konnte sie nicht ertragen! Die Tränen traten ihr in die Augen; die alte Dame zitterte vor Aufregung.
    „Sie vergessen sich, Fürst!“ sagte sie endlich ganz außer sich.
    Der Fürst wurde sich sofort bewußt, daß er zu weit gegangen war, und bat um Verzeihung; dann trat er zu mir, küßte mich mit tiefem Gefühle, bekreuzte mich und verließ das Zimmer. „Pauvre prince!“ sagte Madame Léotard, die ihn nun ihrerseits bedauerte. Dann setzten wir uns an den Unterrichtstisch.
    Aber die Prinzessin zeigte sich während des Unterrichtes sehr zerstreut. Ehe wir zum Mittagessen gingen, trat sie zu mir, mit glühend rotem Gesichte und mit einem Lachen auf den Lippen, blieb mir gegenüber stehen, faßte mich bei den Schultern und sagte eilig, wie wenn sie sich über etwas schämte:
    „Du hast also gestern für mich gesessen? Nach Tische wollen wir in den Saal gehen und spielen.“
    Es ging jemand an uns vorbei, und die Prinzessin wandte sich sofort von mir ab.
    Nach Tische, in der Dämmerstunde, gingen wir beide, uns an den Händen haltend, nach unten in den großen Saal. Die Prinzessin befand sich in großer Aufregung und atmete mühsam. Ich war froh und glücklich wie nie zuvor.
    „Wollen wir Ball spielen?“ fragte sie mich. „Stell dich hierher!“
    Sie stellte mich in eine Ecke des Saales; aber statt selbst zurückzutreten und mir den Ball zuzuwerfen, blieb sie drei Schritte von mir entfernt stehen, sah mich an, wurde rot und warf sich auf das Sofa, das Gesicht in beide Händen verbergend. Ich machte eine Bewegung nach ihr hin; sie glaubte, ich wolle fortgehen.
    „Geh nicht fort, Netotschka! Bleib bei mir!“ sagte sie. „Das geht gleich vorüber.“
    Aber im nächsten Augenblick sprang sie auf und fiel mir, tief errötend und in Tränen ausbrechend, um den Hals. Ihre Wangen waren feucht, ihre Lippen dick wie Kirschen, ihre Locken fielen unordentlich auseinander. Sie küßte mich wie eine Irrsinnige,

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