Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
mehr), an denen Alexandra Michailowna sich auf einmal vollständig veränderte. Zorn und Entrüstung malten sich auf ihrem sonst gewöhnlich so stillen Gesichte an Stelle der steten Demut und Unterwürfigkeit unter den Willen ihres Mannes. Mitunter bereitete sich das Gewitter eine ganze Stunde lang vor; der Mann wurde noch schweigsamer, finsterer und grimmiger als gewöhnlich. Endlich schien das kranke Herz der armen Frau es nicht länger ertragen zu können. Sie begann mit einer vor Erregung mitunter versagenden Stimme ein Gespräch, das anfangs aus abgebrochenen, unzusammenhängenden Sätzen bestand und voll war von versteckten Hindeutungen und bitterer Unterdrückung stärkerer Wendungen; darauf war es plötzlich, als könne sie ihren Kummer nicht mehr ertragen: sie zerfloß in Tränen und schluchzte, und dann folgte eine Flut von empörten Vorwürfen, Klagen, Ausdrücken der Verzweiflung; die Krisis der Krankheit war eingetreten. Und nun mußte man sehen, mit welcher Geduld der Mann dies alles ertrug, mit welchem Mitgefühl er sie bat, sich zu beruhigen, ihr die Hände küßte und sogar schließlich anfing, mit ihr zusammen zu weinen; dann kam sie auf einmal gleichsam zur Besinnung, als ob ihr Gewissen ihr etwas zuriefe und sie eines Verbrechens anklagte. Die Tränen ihres Mannes erschütterten sie, und nun warf sie sich händeringend, in heller Verzweiflung, krampfhaft schluchzend ihm zu Füßen und flehte ihn um Verzeihung an, die ihr dann auch sofort gewährt wurde. Aber die Qualen ihres Gewissens und die Tränen und die Bitten um Verzeihung dauerten noch lange fort, und für ganze Monate wurde sie ihrem Manne gegenüber noch schüchterner und furchtsamer als zuvor. Ich konnte von diesen Vorwürfen und Klagen nichts verstehen; auch wurde ich zu solchen Zeiten immer unter recht ungeschickten Vorwänden aus dem Zimmer geschickt. Aber ganz verbergen konnten sie mir dies alles doch nicht. Ich beobachtete, machte Wahrnehmungen, kombinierte, und gleich von vornherein setzte sich bei mir ein dunkler Verdacht fest, daß hinter alledem ein Geheimnis stecke, daß diese plötzlichen Ausbrüche eines tief verwundeten Herzens nicht eine einfache Nervenkrankheit seien, daß der Mann nicht ohne Grund immer so finster sei, daß er der armen, kranken Frau nicht ohne Grund dieses zweideutige Mitleid bezeige, daß sie nicht ohne Grund ihm gegenüber stets so schüchtern und ängstlich sei und diese demütige, seltsame Liebe zu ihm hege, die sie ihm nicht einmal zu zeigen wage, daß sie nicht ohne Grund dieses einsame, klösterliche Leben führe und in Gegenwart ihres Mannes plötzlich bald dunkelrot, bald totenblaß werde.
Aber da derartige Szenen mit dem Manne nur sehr selten vorkamen, und da unser Leben ein sehr einförmiges war und ich es bereits hinreichend genau kennengelernt hatte, und da ich mich schließlich sehr schnell entwickelte und heranwuchs und bereits viele neue, wenn auch noch unbewußte Gefühle in mir erwachten, die mich von meinen Beobachtungen ablenkten, so gewöhnte ich mich endlich an dieses Leben, an diese Vorgänge und Charaktere, die mich umgaben. Ich konnte natürlich nicht umhin, mir bisweilen bei Alexandra Michailownas Anblick meine Gedanken zu machen; aber diese meine Gedanken führten vorläufig noch zu keiner Klarheit. Ich liebte sie herzlich, achtete ihren Kummer und scheute mich deshalb, ihrem empfindlichen Herzen durch meine Neugier lästig zu werden. Sie verstand mich und setzte unzählige Male dazu an, mir für meine Anhänglichkeit an sie zu danken. Oft, wenn sie bemerkte, was ich mir um sie für Sorge machte, lächelte sie unter Tränen und scherzte selbst über ihr vieles Weinen; dann wieder fing sie auf einmal an, mir zu erzählen, sie sei sehr zufrieden, sehr glücklich; alle seien so gut zu ihr, alle, die sie bisher kennengelernt habe, hätten sie so lieb; es sei ihr ein großer Schmerz, daß Pjotr Alexandrowitsch über sie und ihre Seelenruhe so bekümmert sei; während sie sich doch ganz im Gegenteil so glücklich fühle, so glücklich! Und dann umarmte sie mich mit so tiefem Gefühle und aus ihrem Gesichte strahlte mir eine solche Liebe entgegen, daß mir das Herz, wenn man sich so ausdrücken kann, vor Sympathie für sie weh tat.
Ihre Gesichtszüge werden mir nie aus dem Gedächtnisse entschwinden. Sie waren regelmäßig, und die Magerkeit und Blässe schien den ernsten Reiz ihrer Schönheit noch zu erhöhen. Das dichte, schwarze, glatt heruntergekämmte Haar warf einen düsteren,
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