Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
scharfen Schatten auf den Rand der Wangen; aber um so lieblicher überraschte den Beschauer der damit kontrastierende Blick ihrer großen, kindlich klaren, blauen Augen; in diesem Blicke kam bisweilen eine solche Naivität zum Ausdruck und eine solche Zaghaftigkeit und ein solches Gefühl der Schutzlosigkeit und eine solche Furcht vor jedem starken Affekte, mochte es nun momentane Freude oder oftmaliger stiller Kummer sein! Aber zu manchen glücklichen, ruhigen Zeiten lag in diesem zum Herzen gehenden Blicke eine solche Helligkeit und Klarheit, eine solche Rechtschaffenheit und Ruhe, diese Augen, blau wie der Himmel, strahlten eine solche Liebe aus, blickten so zärtlich, und es spiegelte sich in ihnen ein so tiefes Gefühl der Sympathie für alles, was gut und edel war, für alles, was Liebe heischte und um Mitleid bat, daß eines jeden Seele sich von ihr angezogen fühlte, sich ihr unterwarf und, wie es schien, selbst von ihr diese Klarheit und Ruhe und Friedlichkeit und Liebe herübernahm. So blickt man manchmal zum blauen Himmel empor und hat das Gefühl, daß man ganze Stunden in dieser wonnigen Beschauung zubringen möchte, und daß die Seele in diesen Augenblicken freier und ruhiger werde, als ob sich in ihr der gewaltige Himmelsdom wie in einer stillen Wasserfläche spiegele. Wenn aber (und das geschah so oft!) die Begeisterung ihr die Röte ins Gesicht trieb und ihre Brust sich vor Erregung hob, dann leuchteten ihre Augen wie Blitze, es schien, als ob sie Funken sprühten, und als ob ihre ganze Seele, die keusch die reine Flamme des sie jetzt begeisternden Schönen hütete, in diese Augen übergesiedelt sei. In diesen Augenblicken war sie wie von göttlichem Hauche erfüllt. Und in solchen plötzlichen Ausbrüchen des Gefühls, in solchen Übergängen von stiller, schüchterner Stimmung zu heller, hoher Begeisterung, zu reinem, ernstem Enthusiasmus lag gleichzeitig ein so naiver, kindlich rascher Glaube, daß ein Künstler wohl sein halbes Leben dafür hingegeben hätte, wenn er einen solchen Augenblick hellen Entzückens hätte abpassen und dieses begeisterte Gesicht auf die Leinwand hätte übertragen können.
Gleich in den ersten Tagen meines Aufenthaltes in diesem Hause erkannte ich, daß sie sich in ihrer Einsamkeit über meine Anwesenheit freute. Damals hatte sie erst ein einziges Kind, und es war erst ein Jahr her, daß sie Mutter geworden war. Aber ich war im vollen Sinne des Wortes ihre Tochter, und sie machte keinen Unterschied zwischen mir und ihren eigenen Kindern. Mit welchem Eifer machte sie sich an meine Bildung! Sie übertrieb die Sache anfangs derart, daß Madame Léotard unwillkürlich lächeln mußte, wenn sie sie ansah. Und in der Tat nahmen wir alles auf einmal in Angriff, so daß kein ordentliches Verständnis dabei herauskam. Sie unternahm es, mich selbst zu unterrichten, und zwar gleich in vielen Gegenständen, so daß ich trotz ihres glühenden Eifers und ihrer liebevollen Ungeduld wenig wahren Nutzen davon hatte. Anfangs war sie ärgerlich über ihre pädagogische Ungeschicklichkeit; aber dann fingen wir an zu lachen und begannen von neuem, wiewohl Alexandra Michailowna trotz des ersten Mißerfolges sich kühn gegen Madame Léotards Methode aussprach. Sie stritten lachend miteinander; aber meine neue Lehrerin erklärte sich als entschiedene Gegnerin jeder Methode und behauptete, wir beide, ich und sie, würden schon tastend den richtigen Weg finden; es habe keinen Zweck, mir den Kopf mit trockenem Wissen vollzustopfen; der ganze Erfolg hänge davon ab, daß man meine natürliche Begabung erkenne und es verstehe, bei mir guten Willen zu erwecken. Und sie hatte recht; denn sie trug mit ihrer Art zu unterrichten einen vollen Sieg davon. Erstens kamen gleich von Anfang an die Rollen der Lehrerin und der Schülerin vollständig in Wegfall. Wir lernten wie zwei Freundinnen, und manchmal kam es so heraus, daß ich, ohne Alexandra Michailownas List zu bemerken, sie meinerseits zu unterrichten glaubte. So entstand zwischen uns häufig Streit, und ich ereiferte mich gewaltig, um die Sache so, wie ich sie auffaßte, auseinanderzusetzen; unmerklich aber führte mich Alexandra Michailowna auf den richtigen Weg. Aber es endete jedesmal damit, daß, wenn wir zur Wahrheit gelangt waren, ich sogleich Alexandra Michailownas schlauen Kunstgriff durchschaute, mir sagte, was für gewaltige Mühe sie sich mit mir gegeben und wie sie nicht selten ganze Stunden auf diese Weise zu meinem Nutzen geopfert
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