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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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Stimmung eines Menschen, der sein Haus und sein bisheriges ruhiges, sorgloses Leben für immer verläßt, um in eine unbekannte Ferne zu ziehen, nun zum letzten Male um sich schaut, in Gedanken von seiner Vergangenheit Abschied nimmt und sein Herz beklemmt fühlt von der trüben Vorahnung all des Unbekannten, vielleicht Traurigen, Feindseligen, das ihn auf seinem neuen Wege erwartet. Endlich brach ein krampfhaftes Schluchzen aus meiner Brust hervor und brachte in einem krankhaften Anfalle meinem Herzen eine gewisse Erleichterung. Ich mußte jemand sehen, jemand hören, meine Arme fest um jemand schlingen. Ich konnte, ich wollte jetzt nicht mehr allein bleiben; ich lief zu Alexandra Michailowna und brachte bei ihr den ganzen Abend zu. Wir waren allein. Ich bat sie, nicht zu spielen, und lehnte es ab, zu singen, obwohl sie mich herzlich darum bat. Jede Beschäftigung wurde mir auf einmal lästig, und ich konnte es bei keiner aushalten. Ich glaube, wir weinten alle beide. Ich erinnere mich aber nur, daß sie über mich sehr erschrocken war. Sie redete mir zu, ich möchte mich beruhigen und mich nicht so aufregen. Sie beobachtete mich voll Angst und versicherte mir, ich sei krank und nähme mich nicht ordentlich in acht. Endlich verließ ich sie; ich war ganz zerquält und zermartert, redete fast irre und legte mich fiebernd ins Bett.
    Es vergingen mehrere Tage, bis ich wieder zu mir kommen und meine Lage klarer überdenken konnte. Zu dieser Zeit lebten wir beide, ich und Alexandra Michailowna, in vollständiger Vereinsamung. Pjotr Alexandrowitsch war nicht in Petersburg. Er war in Geschäften nach Moskau gereist und hielt sich dort drei Wochen lang auf. Trotz der kurzen Dauer der Trennung wurde Alexandra Michailowna von schrecklicher Sehnsucht befallen. Manchmal wurde sie ruhiger; aber sie schloß sich ein, da auch ich ihr offenbar zur Last war. Überdies suchte ich auch selbst die Einsamkeit. Mein Kopf arbeitete mit krankhafter Anstrengung; ich war wie betäubt. Mitunter kamen bei mir Stunden vor, wo peinliche Gedanken mich lange in aufdringlicher Weise beschäftigten; es kam mir dann vor, als ob jemand im stillen über mich lachte, als ob sich in mir etwas festgesetzt habe, was jeden meiner Gedanken verwirre und vergifte. Ich konnte nicht von den quälenden Bildern loskommen, die fortwährend vor meinem geistigen Auge erschienen und mir keine Ruhe ließen. Ich erblickte da ein langes Leid, von dem es keine Rettung gab, ein Martyrium, ein Opfer, das gehorsam und ohne Murren, aber vergeblich dargebracht wurde. Es schien mir, daß derjenige, dem dieses Opfer gebracht wurde, es verachtete und darüber lachte. Ich meinte, einen Verbrecher zu sehen, der einem Gerechten die Sünden vergab, und das Herz wollte mir brechen! Gleichzeitig wollte ich mich aus aller Kraft von meinem Verdachte losmachen; ich verfluchte ihn und haßte mich selbst dafür, daß alle meine Überzeugungen keine Überzeugungen waren, sondern nur Ahnungen, und dafür, daß ich meine Empfindungen nicht vor mir selbst rechtfertigen konnte.
    Dann musterte ich mit dem Verstande die einzelnen Redewendungen des Briefes, diesen letzten Aufschrei bei einem furchtbaren Abschiednehmen. Ich stellte mir diesen Menschen vor, den „nicht Ebenbürtigen“; ich bemühte mich, den ganzen qualvollen Sinn dieses Wortes „nicht ebenbürtig“ zu erfassen. In tiefster Seele erschütterte mich der verzweifelte Ausdruck des Scheidenden: „Ich bin lächerlich und schäme mich für Dich, weil Du eine solche Wahl getroffen hast.“ Was hieß das? Was waren das für Menschen? Worüber grämten sie sich, womit quälten sie sich, was hatten sie verloren? Mit Selbstüberwindung las ich noch einmal aufmerksam diesen Brief durch, in dem so viel herzzerreißendende Verzweiflung lag, dessen Sinn aber so seltsam und für mich unverständlich war. Aber der Brief entfiel meiner Hand, und eine aufregende Unruhe bemächtigte sich immer mehr meines Gemütes. Endlich mußte dies alles denn doch einmal irgendwie seine Lösung finden; aber ich sah noch keinen Ausgang oder fürchtete mich vor ihm! Ich war fast ganz krank, als eines Tages der Reisewagen Pjotr Alexandrowitschs, der aus Moskau zurückgekehrt war, auf unsern Hof fuhr. Alexandra Michailowna lief ihrem Manne mit einem freudigen Aufschrei entgegen; aber ich blieb wie angeschmiedet auf meinem Platze. Ich erinnere mich, daß ich selbst über meine plötzliche Aufregung überrascht, ja erschrocken war. Ich konnte mich nicht beherrschen

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