Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
ich dir gesagt? Gute Nacht! Du bist klüger als ich ... Und ich bin schlimmer als ein Kind.“
„Nun, lassen wir es genug sein!“ antwortete ich ganz gerührt; ich wußte nicht, was ich ihr weiter sagen sollte. Ich küßte sie noch einmal und verließ eilig das Zimmer.
Ich war recht ärgerlich und traurig. Außerdem war ich auch mit mir selbst sehr unzufrieden, da ich fühlte, daß ich unvorsichtig war und mich nicht zu benehmen verstand. Ich schämte mich so, daß mir die Tränen kamen, und schlief in großer Bekümmernis ein. Als ich am Morgen erwachte, war mein erster Gedanke, der ganze gestrige Abend sei ein bloßer Spuk, eine Phantasmagorie gewesen; wir hätten einander mystifiziert, uns gegenseitig konfus gemacht und Kleinigkeiten zu bedeutsamen Ereignissen aufgebauscht; alles sei nur von unserer Unerfahrenheit hergekommen und davon, daß wir nicht gewohnt seien, äußere Eindrücke aufzunehmen. Ich fühlte, daß an allem dieser Brief schuld war, daß er mich zu sehr beunruhigte, daß meine Einbildungskraft aus Rand und Band gekommen war, und sagte mir, es würde das beste sein, künftig gar nicht mehr an ihn zu denken. Nachdem ich so mit außerordentlicher Leichtigkeit meinen ganzen Kummer wegdekretiert hatte, wurde ich, in der festen Überzeugung, daß mir die Ausführung meines Beschlusses ebenso leicht werden würde, allmählich ruhiger und begab mich, schon wieder ganz heiter geworden, zur Gesangstunde. Die Morgenluft machte mir den Kopf vollends frisch. Ich liebte meine morgendlichen Wege zu meinem Lehrer sehr. Es war so vergnüglich, durch die Stadt zu wandern, die zwischen acht und neun Uhr schon ganz munter geworden war und eifrig an ihr Tagewerk ging. Wir gingen gewöhnlich durch die lebhaftesten, geschäftigsten Straßen, und ich hatte mein großes Gefallen an diesem täglichen Vorspiel meiner künstlerischen Tätigkeit, an dem Kontraste zwischen diesem unbedeutenden Alltagstreiben, der kleinlichen, aber eifrigen Sorge um Erwerb einerseits und der Kunst andrerseits, die mich, nur zwei Schritte von diesem geschäftigen Leben entfernt, im dritten Stockwerk eines gewaltigen Hauses erwartete, das von unten bis oben mit Mietern vollgestopft war, die meines Erachtens mit keiner Kunst etwas zu schaffen hatten. Ich mit meinem Notenhefte unter dem Arme zwischen diesen geschäftig hastenden Passanten, ferner die alte Natalja, die mich begleitete und mir jedesmal, ohne es selbst zu ahnen, das Rätsel aufgab, woran sie wohl am meisten denken möge, endlich mein Lehrer, halb Italiener, halb Franzose, ein wunderlicher Kauz, zuzeiten ein Enthusiast, weit häufiger aber ein Pedant und vor allem ein Geizhals: dies alles interessierte mich und brachte mich zum Lachen oder zum Nachdenken. Überdies liebte ich, wenn auch nur schüchtern, aber doch mit leidenschaftlicher Hoffnung meine Kunst, baute Luftschlösser, malte mir die wundervollste Zukunft aus und war, wenn ich nach Hause kam, nicht selten noch ganz erhitzt von meinen Phantasien. Kurz, ich war in diesen Stunden fast glücklich.
Eine solche Stunde war mir auch diesmal beschieden, als ich um zehn Uhr von der Unterrichtsstunde nach Hause zurückkehrte. Ich hatte die ganze Wirklichkeit vergessen und überließ mich, wie ich mich erinnere, frohen Zukunftsträumereien. Aber als ich die Treppe hinaufstieg, zuckte ich auf einmal zusammen, wie wenn ich mich verbrannt hätte. Ich hörte über mir die Stimme Pjotr Alexandrowitschs, der gerade die Treppe herunterkam. Das unangenehme Gefühl, das sich meiner bemächtigte, war so stark und die Erinnerung an den gestrigen Abend erfüllte mich mit einer so feindseligen Gesinnung, daß ich meinen Widerwillen nicht verbergen konnte. Ich machte ihm eine leichte Verbeugung: aber wahrscheinlich prägte sich auf meinem Gesichte in diesem Augenblicke das, was ich dachte, so deutlich aus, daß er erstaunt vor mir stehenblieb. Als ich dieses sein Verhalten bemerkte, wurde ich rot und lief schnell nach oben. Er murmelte etwas hinter mir her und setzte dann seinen Weg fort.
Ich war nahe daran, vor Ärger zu weinen, und konnte nicht begreifen, was ich da wieder gemacht hatte. Den ganzen Vormittag über war ich mißgestimmt und wußte nicht, wozu ich mich entschließen sollte, um dieser ganzen Pein möglichst bald ein Ende zu machen und sie loszuwerden. Tausendmal nahm ich mir vor, künftig vernünftiger zu sein, und tausendmal überkam mich doch wieder die Angst, daß ich dazu nicht imstande sein würde. Ich fühlte, daß ich
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