Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
wie Smerdjakow hinter dem Bretterverschlag stöhnte, da war Karamasow wahrhaft niedergeschmettert. Mein Kollege, unser verehrter scharfsinniger Nikolai Parfjonowitsch, hat mir hinterher gesagt, der Angeklagte habe ihm in diesem Moment so leid getan, daß er hätte weinen mögen ... In diesem Augenblick faßte er, um seine Sache wieder zu verbessern, schnell den Entschluß, uns von diesem hochberühmten Säckchen zu erzählen. ›Sei es drum!‹ sagt er gewissermaßen. Hören Sie also dieses Geschichtchen! Meine Herren Geschworenen, ich habe Ihnen bereits meine Gedanken darüber dargelegt, warum ich die Geschichte von dem Geld, das einen Monat vorher in ein Säckchen eingenäht worden sein soll, nicht nur für eine Torheit, sondern auch für die unwahrscheinlichste Erfindung halte, auf die man unter den vorliegenden Umständen nur verfallen konnte. Ja, wenn es sich bei einer Wette darum handeln würde, das Unwahrscheinlichste zu finden, was sich hier sagen und vorbringen ließe, würde man sich nichts Tolleres ausdenken können. In so einem Fall kann man den triumphierenden Erfinder vor allem durch Einzelheiten konfus machen, durch jene Einzelheiten, an denen die Wirklichkeit so reich ist, die jedoch von diesen unglücklichen, unfreiwilligen Autoren stets vernachlässigt werden, als wären es ganz unbedeutende, nutzlose Kleinigkeiten. Oh, darum ist ihnen in dem Augenblick nicht zu tun, ihr Geist schafft nur ein großartiges Ganzes – und da wagt man, ihnen mit solchen Kleinigkeiten zu kommen! Aber gerade, dadurch werden sie gefangen! Dem Angeklagten wurde die Frage vorgelegt: ›Nun, wo haben Sie denn das Material für Ihr Säckchen her, und wer hat es Ihnen genäht?‹ – ›Ich habe es selbst genäht.‹ – ›Wo haben Sie die Leinwand hergenommen?‹ Der Angeklagte fühlte sich dadurch schon beleidigt; er hielt das für beleidigende Kleinigkeitskrämerei, und er meinte das wirklich so, wirklich! Doch so machen sie es alle ... ›Ich habe einen Fetzen von einem meiner Hemden abgerissen.‹ – ›Sehr wohl, dann werden wir morgen in Ihrer Wäsche dieses beschädigte Hemd ausfindig machen.‹ Und sagen Sie selbst, meine Herren Geschworenen: Wenn wir dieses Hemd wirklich gefunden hätten – und wie hätten wir es nicht in seinem Koffer oder in seiner Kommode finden sollen, wenn ein solches Hemd tatsächlich existiert hätte? –, so wäre das doch wenigstens eine greifbare Tatsache zu seinem Gunsten gewesen! Doch das vermochte er nicht zu überlegen. ›Ich erinnere mich nicht. Vielleicht war es auch nicht von einem Hemd? Ja, ich habe das Geld in eine Haube meiner Wirtin eingenäht.‹ – ›In was für eine Haube?‹ – ›Ich nahm sie ihr weg, sie lag bei ihr herum, es war ein altes, wertloses Ding aus Kaliko.‹ – ›Und Sie erinnern sich daran mit Bestimmtheit?‹ – ›Nein, mit Bestimmtheit nicht ...‹ Er wurde böse, ernstlich böse; aber bedenken Sie bitte: Wie hätte er sich daran nicht erinnern sollen? In den furchtbarsten Augenblicken des Lebens, zum Beispiel wenn jemand zur Hinrichtung gefahren wird, bleiben gerade die Kleinigkeiten im Gedächtnis haften. Er wird alles vergessen, aber an ein grünes Dach, das ihm unterwegs aufgefallen ist, oder an eine Dohle auf einem Kreuz – daran wird er sich erinnern ... Er hat sich, als er sein Säckchen nähte, vor seinen Hausleuten versteckt: Also mußte er sich erinnern, wie demütigend er mit der Nadel in der Hand unter der Furcht litt, es könnte jemand hereinkommen und ihn überraschen, wie er beim ersten Klopfen aufsprang und hinter den Bretterverschlag lief! Aber, meine Herren Geschworenen, wozu teile ich Ihnen das alles, alle diese Einzelheiten und Kleinigkeiten, mit? Weil der Angeklagte bis zu diesem Augenblick hartnäckig bei dieser Torheit bleibt! In diesen ganzen zwei Monaten seit jener verhängnisvollen Nacht hat er nichts erklärt und keinen einzigen erklärenden realen Umstand zu seinen früheren phantastischen Aussagen hinzugefügt. ›Das sind alles Kleinigkeiten, aber glauben Sie mir auf mein Ehrenwort!‹ sagt er. Oh, wir glauben mit Freuden, wir dürsten danach zu glauben, und sei es sogar auf sein Ehrenwort! Sind wir etwa Schakale, die nach Menschenblut dürsten? Bitte, man zeige uns auch nur eine einzige Tatsache zugunsten des Angeklagten, und wir werden uns freuen! Aber es muß eine greifbare, reale Tatsache sein – und kein Schluß, den der Bruder des Angeklagten aus dessen Gesichtsausdruck zieht, oder der vage Hinweis, er habe
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