Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Wäsche, die dunkle, von dem Schrei ›Vatermörder!‹ durchhallte Nacht und der Schreiende, der mit eingeschlagenem Schädel niederstürzt, dann diese Masse von Äußerungen, Aussagen, Gebärden, Ausrufen – oh, das übt eine so gewaltige Wirkung aus und kann so leicht die Überzeugung bestechen. Aber sollte es etwa auch Ihre Überzeugung bestechen können, meine Herren Geschworenen? Denken Sie daran, daß Ihnen eine unbegrenzte Macht zu binden und zu lösen gegeben ist. Und je größer diese Macht ist, desto furchtbarer ist ihr Gebrauch! Ich nehme nicht ein Jota von dem zurück, was ich soeben gesagt habe; aber sei es drum, meinetwegen, ich will mich für einen Augenblick auf den Standpunkt der Anklage stellen und annehmen, daß mein unglücklicher Klient seine Hände mit dem Blut seines Vaters befleckt hat. Das ist nur eine Annahme, ich wiederhole es! Ich zweifle keinen Augenblick an seiner Unschuld; aber mag es sein, ich will annehmen, daß mein Angeklagter des Vatermordes schuldig ist. Selbst wenn ich eine solche Annahme für zulässig hielte, hören Sie bitte dennoch, was ich Ihnen sagen möchte. Es ist mir ein Herzensbedürfnis, Ihnen noch etwas zu sagen; denn ich sehe voraus, daß auch ein jeder von Ihnen in seinem Herzen und seinem Geist einen großen Kampf auszufechten haben wird ... Verzeihen Sie mir dieses Wort von Ihrem Herzen und Ihrem Geist, meine Herren Geschworenen! Aber ich will wahrhaft und aufrichtig sein bis zum Schluß. Lassen Sie uns bitte alle aufrichtig sein!
An dieser Stelle unterbrach den Verteidiger ein ziemlich lautes Beifallklatschen. In der Tat hatte er seine letzten Worte mit dem Unterton einer solchen Aufrichtigkeit gesprochen, daß alle das Gefühl hatten, er habe vielleicht wirklich etwas Besonderes zu sagen, und zwar das Wichtigste. Als jedoch der Präsident das Beifallklatschen hörte, drohte er laut, den Gerichtssaal »räumen« zu lassen, falls sich »etwas Derartiges« wiederholen sollte. Alles wurde still, und Fetjukowitsch sprach ganz anders weiter, als er bisher gesprochen hatte: mit einer neuen Stimme, der man die Ergriffenheit anmerkte.
13. Und selbst wenn ...
»Nicht nur das Zusammentreffen der Tatsachen richtet meinen Klienten zugrunde, meine Herren Geschworenen!« rief er aus. »Nein, was meinen Klienten zugrunde richtet, ist in Wirklichkeit nur eine einzige Tatsache: nämlich der Leichnam seines alten Vaters! Handelte es sich um einen gewöhnlichen Mord, so würden auch Sie bei der Nichtigkeit, der Zweifelhaftigkeit und dem phantastischen Charakter jeder einzelnen Tatsache die Beschuldigung zurückweisen oder wenigstens Bedenken haben, das Schicksal eines Menschen lediglich auf Grund eines gegen ihn bestehenden Vorurteils zu zerstören, das er leider verdient hat! Aber es handelt sich hier nicht um gewöhnlichen Mord, sondern um Vatermord! Das macht Eindruck, und zwar in einem solchen Grad, daß sogar die Nichtigkeit und Unbewiesenheit der von der Anklage vorgebrachten Tatsachen nicht mehr so nichtig und unbewiesen erscheint – und das gilt selbst für den vorurteilsfreiesten Geist. Wie soll man einen solchen Angeklagten freisprechen? Wenn er nun den Mord wirklich begangen hat und straflos davonkommt? Das ist es, was jeder unwillkürlich und instinktiv in seinem Herzen fühlt. Ja, es ist etwas Furchtbares, das Blut des Vaters zu vergießen – das Blut dessen, der mich erzeugt, mich geliebt, sein Leben für mich nicht geschont hat, der seit meinen Kinderjahren meine Krankheiten wie die eigenen empfunden, sich die ganze Zeit um mein Glück gemüht und nur von meinen Freuden, von meinen Erfolgen gelebt hat! Oh, einen solchen Vater zu töten – unmöglich, das auch nur auszudenken! Meine Herren Geschworenen, was ist ein Vater, ein wirklicher Vater? Was ist das für ein großes Wort, welche gewaltige Idee liegt in dieser Bezeichnung? Wir haben soeben andeutungsweise gesagt, was und wie ein wahrer Vater sein muß. In dem vorliegenden Prozeß aber, der unser aller Interesse in Anspruch nimmt und unsere Seelen mit Schmerz erfüllt – in dem vorliegenden Prozeß hatte der Vater, der verstorbene Fjodor Pawlowitsch Karamasow, nicht die geringste Ähnlichkeit mit jener Vorstellung, die sich unser Herz von einem Vater macht. Das ist ein Unglück. In der Tat, mancher Vater hat Ähnlichkeit mit einem Unglück. Doch lassen Sie uns dieses Unglück näher betrachten – wir dürfen uns im Hinblick auf die Wichtigkeit der bevorstehenden Entscheidung vor nichts fürchten,
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