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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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stellt sich ja so häufig bei sich bietender Gelegenheit ein und überfällt plötzlich gerade solche Mörder, die noch eine Minute vorher nicht gewußt haben, daß sie einen Mord begehen wollen! Und so konnte denn Smerdjakow zu seinem Herrn hineingehen und seinen Plan ausführen. Womit, mit was für einer Waffe? Nun, mit dem ersten besten Stein, den er im Garten aufgehoben hatte. Und wozu? Zu welchem Zweck? Nun, mit dreitausend Rubeln konnte er sich schon weiterhelfen. Oh, ich widerspreche mir nicht: es ist auch möglich, daß das Geld gar nicht vorhanden war. Vielleicht war auch Smerdjakow der einzige, der wußte, wo es zu finden war, wo der Herr es in Wirklichkeit liegen hatte. Nun, und das zerrissene Kuvert auf dem Fußboden? Als vorhin der Ankläger von diesem Kuvert sprach und uns eine außerordentlich feine Erörterung darüber vortrug, daß es eigentlich nur ein ungeübter Dieb wie Karamasow auf dem Fußboden liegenlassen konnte, bestimmt nicht Smerdjakow, der auf keinen Fall ein solches Indiz gegen sich zurückgelassen hätte – als ich das hörte, meine Herren Geschworenen, hatte ich auf einmal die Empfindung, längst Bekanntes zu hören. Und stellen Sie sich vor: Diese selbe Überlegung, wie Karamasow mit dem Kuvert habe verfahren können, hatte ich schon zwei Tage zuvor von Smerdjakow selbst gehört! Und etwas hat mich dabei sehr frappiert. Es schien mir nämlich, als fingiere er Naivität, als käme er mir absichtlich entgegen, als souffliere er mir diesen Gedanken, damit ich selbst diese Schlußfolgerung zöge. Hat er ihn vielleicht auch der Untersuchungsbehörde souffliert? Hat er ihn vielleicht auch dem hochbegabten Ankläger aufgedrängt? Man wird sagen: Aber die alte Frau Grigoris? Sie hat doch gehört, wie der Kranke neben ihr die ganze Nacht stöhnte. Richtig, sie hat es gehört; so eine Wahrnehmung ist jedoch außerordentlich unzuverlässig. Ich kannte eine Dame, die sich bitter darüber beklagte, daß ein kleiner Hund auf dem Hof sie die ganze Nacht nicht habe schlafen lassen. Und dabei hatte das arme Hündchen, wie festgestellt wurde, überhaupt nur zwei- oder dreimal in der ganzen Nacht gebellt. Und das ist ganz natürlich: Jemand schläft und hört auf einmal ein Stöhnen; er wacht ärgerlich auf, schläft aber augenblicklich wieder ein. Nach zwei Stunden wieder Stöhnen, er wacht wieder auf und schläft wieder ein; endlich nochmals Stöhnen, und zwar wieder nach zwei Stunden, im ganzen dreimal in der Nacht. Am Morgen steht der Schläfer auf und beklagt sich, daß jemand die ganze Nacht gestöhnt und ihn fortwährend geweckt habe. Und es muß ihm auch so vorkommen: In den Zwischenzeiten hat er geschlafen, jedesmal zwei Stunden lang, und er erinnert sich ihrer nicht; er erinnert sich nur an die Minuten seines Wachens, und da scheint es ihm, als sei er die ganze Nacht über geweckt worden. ›Aber warum‹, ruft die Anklage, ›hat Smerdjakow auf dem hinterlassenen Zettel kein Geständnis abgelegt? Zu dem einen reichte sein Gewissen aus, aber zu dem anderen nicht.‹ Bitte erlauben Sie: Gewissen, das ist schon Reue. Und Reue fühlte dieser Selbstmörder wohl gar nicht, sondern nur Verzweiflung. Verzweiflung und Reue, das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die Verzweiflung kann boshaft und unversöhnlich sein, und der Selbstmörder konnte in dem Augenblick, als er Hand an sich legte, doppelt diejenigen hassen, die er sein Leben lang beneidet hatte. Meine Herren Geschworenen, hüten Sie sich vor einem Justizirrtum! Inwiefern ist alles das, was ich Ihnen soeben dargelegt habe, unwahrscheinlich? Finden Sie in meiner Auseinandersetzung einen Fehler, eine Unmöglichkeit, eine Sinnlosigkeit? Falls aber an meinen Annahmen auch nur ein Schatten von Möglichkeit, auch nur ein Schatten von Wahrscheinlichkeit ist, so sollten Sie sich einer Verurteilung enthalten. Und ist hier etwa nur ein Schatten vorhanden? Ich schwöre bei allem, was heilig ist: Ich glaube vollkommen an meine Auffassung des Mordes, die ich Ihnen soeben vorgetragen habe. Was mich jedoch ganz besonders aufregt und aus der Fassung bringt, ist immer ein und derselbe Gedanke: daß es in der ganzen Masse von Tatsachen, die die Anklage auf den Angeklagten gehäuft hat, auch nicht eine einzige gibt, die irgendwie zwingend und unwiderleglich wäre, sondern daß der Unglückliche lediglich durch das Zusammentreffen dieser Tatsachen zugrunde geht! Ja, dieses Zusammentreffen ist furchtbar: das von den Fingern herabfließende Blut, die blutige

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