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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Dostojewski
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erachtet, so verfährt sie allzu harmlos. Auf mich machte er folgenden Eindruck: Ich verließ ihn mit der Überzeugung, daß er ein durch und durch boshaftes, maßlos ehrgeiziges, rachsüchtiges und neidisches Geschöpf ist. Ich habe, soweit ich konnte, Erkundungen über ihn eingezogen. Er haßte seine Herkunft, schämte sich ihrer und erinnerte sich nur zähneknirschend daran, daß er von der Stinkenden abstammte. Dem Diener Grigori und dessen Frau, den Wohltätern seiner Kindheit, gegenüber benahm er sich respektlos. Rußland verfluchte er und spottete über dieses sein Vaterland. Das Ziel seiner Sehnsucht war, nach Frankreich zu gehen, um dort ein Franzose zu werden. Er hat schon früher viel und oft darüber gesprochen, daß es ihm dafür an den nötigen Mitteln fehlte. Ich glaube, er hat niemand geliebt außer sich selbst, und sich selbst hat er in verblüffendem Maß geschätzt. Bildung bestand für ihn in guter Kleidung, sauberen Vorhemdchen und blankgeputzten Stiefeln. Da er sich für einen unehelichen Sohn von Fjodor Pawlowitsch hielt – und daß er das tat, dafür gibt es Beweise –, konnte er seine Lage mit Hinblick auf die der legitimen Kinder seines Herrn durchaus hassen: Ihnen gehörte alles und ihm nichts, mochte er denken; sie hatten alle Rechte, ihnen fiel die Erbschaft zu, er aber war nur Koch. Er teilte mir mit, er selbst habe zusammen mit Fjodor Pawlowitsch das Geld in das Kuvert getan. Die Bestimmung dieser Summe, die ihm seine beabsichtigte Karriere hätte ermöglichen können, war ihm natürlich verhaßt. Außerdem sah er die dreitausend Rubel in reinlichen regenbogenfarbenen Banknoten; ich habe ihn danach ausdrücklich gefragt. Oh, zeigen Sie nie einem neidischen, selbstsüchtigen Menschen eine große Geldsumme auf einmal! Er erblickte damals zum erstenmal eine solche Summe in einer Hand. Der Anblick des regenbogenfarbenen Päckchens konnte in krankhafter Weise auf seine Einbildungskraft wirken, zunächst noch ohne weitere Folgen. Der hochbegabte Ankläger hat uns mit außerordentlichem Scharfsinn alle Gründe vorgetragen, die für und gegen die Möglichkeit sprechen, Smerdjakow des Mordes zu beschuldigen, und er hat besonders gefragt: ›Welchen Zweck hatte es für ihn, einen epileptischen Anfall zu simulieren?‹ Ja, aber vielleicht simulierte er gar nicht? Der Anfall konnte sich auf ganz natürliche Weise einstellen, konnte jedoch auch auf ganz natürliche Weise wieder vorübergehen, und der Kranke konnte das Bewußtsein wiedererlangen. Eine völlige Genesung war zwar so schnell nicht möglich, wohl aber konnte er einmal wieder zu sich kommen und das Bewußtsein erlangen, wie das bei der Epilepsie vorkommt. Die Anklage fragt: ›Wo ist der Augenblick, da Smerdjakow den Mord begangen haben könnte?‹ Einen solchen Augenblick nachzuweisen ist außerordentlich leicht. Er konnte das Bewußtsein wiedererlangen und aus tiefem Schlaf erwachen – denn er schlief doch nur, nach einem epileptischen Anfall versinkt der Betreffende immer in einen tiefen Schlaf – genau in dem Augenblick, als der alte Grigori den flüchtenden Angeklagten am Bein packte und weithin vernehmbar ›Vatermörder!‹ schrie. Dieser ungewöhnliche Schrei in der Stille und Dunkelheit konnte Smerdjakow aufwecken, dessen Schlaf vielleicht nicht mehr sehr fest war: Er konnte auf ganz natürliche Weise schon seit einer Stunde langsam erwacht sein. Nachdem er sich vom Bett erhoben hat, begibt er sich noch fast bewußtlos hinaus ohne besondere Absicht, nur um wegen des Schreis zu sehen, was denn los sei. In seinem Kopf herrscht eine krankhafte Benommenheit, seine Denkkraft schlummert noch; doch nun ist er im Garten, tritt an die erleuchteten Fenster und hört von seinem Herrn, der natürlich über sein Kommen erfreut ist, die schreckliche Nachricht. Die Denkkraft in seinem Kopf erwacht urplötzlich wieder. Von dem erschrockenen Herrn erfährt er alle Einzelheiten. Und da entsteht in seinem zerrütteten kranken Gehirn allmählich ein furchtbarer, aber verführerischer und unwiderleglich logischer Gedanke: seinen Herrn totzuschlagen, die dreitausend Rubel zu nehmen und dann alle Schuld auf den Sohn des Herrn zu schieben – auf wen anders würde jetzt Verdacht fallen als auf ihn? Auf ihn treffen alle Anzeichen zu, er ist dagewesen! Eine schreckliche Gier nach Geld, nach Beute im Verein mit der Vorstellung, daß ihn keine Strafe treffen würde, nimmt ihm fast den Atem. Oh, ein derartiger plötzlicher, unwiderstehlicher Drang

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