Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
bei den Gefangenen, sondern gesondert angewiesen, in demselben Kämmerchen, wo einstmals Smerdjakow gelegen hatte. Allerdings stand am Ende des Korridors eine Wache, und das Fenster war vergittert; Warwinski konnte also wegen seiner nicht ganz gesetzlichen Nachsicht beruhigt sein. Er war ein guter, mitfühlender junger Mann, der Verständnis dafür hatte, wie peinlich es einem Menschen wie Mitja sein mußte, so unvermittelt in die Gesellschaft von Mördern und Gaunern zu kommen; er sah ein, daß man sich daran erst allmählich gewöhnen mußte. Besuche von Verwandten und Bekannten waren erlaubt worden, sowohl vom Arzt als auch vom Gefängnisinspektor, sogar vom Bezirkshauptmann – alles natürlich unterderhand. Aber in diesen Tagen hatten Mitja immer nur Aljoscha und Gruschenka besucht. Zweimal hatte auch Rakitin den Versuch gemacht, doch Mitja hatte den Arzt Warwinski dringend gebeten, ihn nicht hereinzulassen.
Aljoscha fand ihn auf dem Bett sitzend, im Krankenschlafrock; er fieberte ein wenig und hatte um den Kopf ein Handtuch, das mit verdünntem Essig angefeuchtet war. Er sah Aljoscha mit einem unbestimmten Blick an; dennoch schien in diesem Blick ein leiser Schimmer von Angst zu liegen.
Überhaupt war er seit der Gerichtsverhandlung sehr nachdenklich geworden. Manchmal saß er stundenlang da, schien angestrengt über etwas nachzudenken und anwesende Besucher ganz zu vergessen. Wenn er aber aus seiner Versonnenheit erwachte und zu reden begann, so immer ganz plötzlich, und zwar stets von etwas anderem, als zu erwarten gewesen wäre. Manchmal sah er seinen Bruder mit einem Ausdruck tiefen Schmerzes an. Bei Gruschenkas Besuchen schien ihm leichter ums Herz zu sein. Zwar redete er mit ihr fast gar nicht; doch sowie sie eintrat, strahlte sein ganzes Gesicht vor Freude. Aljoscha setzte sich schweigend neben ihn aufs Bett. Diesmal hatte Mitja ihn voller Unruhe erwartet, wagte aber nicht, ihn nach etwas zu fragen. Er hielt es für undenkbar, daß Katja einwilligen würde, zu ihm
zu kommen, und fühlte gleichzeitig, daß etwas Besonderes, Schreckliches geschehen würde, falls sie nicht käme. Aljoscha verstand seine Gefühle.
»Trifon Borissowitsch«, begann Mitja hastig, »hat sein ganzes Gasthaus ruiniert, heißt es. Dielen und Bretter soll er herausgerissen und die ganze Galerie in kleine Späne zerschlagen haben. Er sucht immerzu nach einem Schatz, nach dem Geld, den fünfzehnhundert Rubeln, von denen der Staatsanwalt sagte, ich hätte sie dort versteckt. Sowie er nach Hause gekommen ist, soll er gleich damit begonnen haben. Das geschieht dem Gauner ganz recht! Der Wächter hat es mir gestern erzählt, er stammt von dort.«
»Hör mal«, sagte Aljoscha, »sie wird kommen! Aber ich weiß nicht wann. Vielleicht heute, vielleicht in den nächsten Tagen, das weiß ich nicht. Aber sie wird kommen, das ist sicher.«
Mitja fuhr zusammen; er schien etwas sagen zu wollen, schwieg jedoch. Diese Nachricht hatte auf ihn eine furchtbare Wirkung. Es war ihm anzusehen, daß er dringend Näheres über Aljoschas Gespräch mit Katja zu erfahren wünschte, daß er sich gleichzeitig aber fürchtete, sofort danach zu fragen: Von irgendeiner hartherzigen oder verächtlichen Äußerung Katjas zu hören, das wäre für ihn in diesem Augenblick wie ein Messerstich gewesen.
»Unter anderem sagte sie, ich soll dein Gewissen wegen der Flucht beruhigen. Sollte Iwan bis zu der Zeit nicht wieder gesund sein, wird sie die Sache selber in die Hand nehmen.«
»Das hast du mir schon gesagt«, bemerkte Mitja nachdenklich.
»Und du hast es sicher Gruscha wiedererzählt«, erwiderte Aljoscha.
»Ja«, gestand Mitja. »Sie wird heute vormittag nicht kommen«, fuhr er fort, seinen Bruder schüchtern anblickend. »Sie wird erst am Abend kommen. Als ich ihr gestern sagte, Katja würde sich der Sache annehmen, da schwieg sie und zog ihre Lippen schief. Sie flüsterte nur: ›Meinetwegen!‹ Sie begriff, daß es wichtig ist. Ich wagte nicht, weiter nach ihren Gefühlen zu forschen. Sie scheint ja jetzt einzusehen, daß jene nicht mich, sondern Iwan liebt.«
»Wirklich?« rief Aljoscha unwillkürlich.
»Vielleicht auch nicht. Jedenfalls wird sie jetzt am Vormittag nicht herkommen«, beeilte sich Mitja noch einmal mitzuteilen. »Ich habe ihr einen Auftrag gegeben ... Hör mal, Bruder, Iwan ist uns allen überlegen. Ihm ist beschieden zu leben, uns nicht. Er wird wieder gesund.«
»Stell dir vor, Katja zittert zwar um ihn, zweifelt aber eigentlich
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