Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
gar nicht daran, daß er wieder gesund wird«, sagte Aljoscha.
»Das heißt, sie ist davon überzeugt, daß er stirbt. Nur aus Angst versucht sie sich einzureden, daß er gesund wird.«
»Der Bruder hat eine kräftige Konstitution. Auch ich hoffe ganz bestimmt, daß er wieder gesund wird«, bemerkte Aljoscha beunruhigt.
»Ja, er wird wieder gesund. Aber Katja glaubt, daß er stirbt. Sie hat viel Kummer ...«
Es trat Stillschweigen ein. Mitja quälte sich mit etwas sehr Wichtigem.
»Aljoscha, ich liebe Gruscha furchtbar«, sagte er auf einmal mit zitternder Stimme, der die verhaltenen Tränen anzuhören waren.
»Man wird sie nicht zu dir lassen, ›dorthin‹«, fiel Aljoscha sogleich ein.
»Und da ist noch etwas, was ich dir sagen wollte«, fuhr Mitja fort, und seine Stimme klang auf einmal wieder kräftig. »Wenn mich jemand unterwegs oder dort schlagen sollte, werde ich mir das nicht gefallen lassen, sondern ihn totschlagen, und man wird mich erschießen. Und das zwanzig Jahre lang! Hier fängt man schon an, mich zu duzen. Die Wächter duzen mich. Ich habe heute die ganze Nacht wach gelegen und mich geprüft: Ich bin nicht bereit! Ich bin nicht imstande, es auf mich zu nehmen! Ich wollte eine Hymne anstimmen ... Aber von den Wächtern geduzt zu werden, darüber komme ich nicht hinweg. Für Gruscha würde ich alles ertragen, alles ... Nur keine Schläge ... Aber man wird sie ›dorthin‹ nicht lassen.« Aljoscha lächelte leise.
»Hör zu, Bruder, ein für allemal«, sagte er. »Ich will dir meine Gedanken über dieses Thema sagen. Und du weißt, daß ich dich nicht belüge. Also hör zu. Du bist nicht bereit, und ein solches Kreuz taugt nicht für dich. Ja noch mehr, ein solches Märtyrerkreuz ist für dich, der du nicht dazu bereit bist, auch gar nicht nötig. Wenn du den Vater getötet hättest, würde ich es bedauern, daß du dein Kreuz ablehnst. Aber du bist unschuldig, und ein solches Kreuz ist zuviel für dich. Du wolltest durch die Qual einen anderen Menschen in dir entstehen lassen. Meiner Ansicht nach solltest du nur dein Leben lang, wohin du auch fliehen magst, immer an diesen anderen, neuen Menschen denken – auch das wird genug für dich sein. Der Umstand, daß du die große Kreuzesqual nicht auf dich genommen hast, wird nur dazu dienen, daß du in dir eine noch größere Verpflichtung empfindest und durch dieses stete Gefühl künftig deine Wiedergeburt beförderst – vielleicht mehr, als wenn du ›dorthin‹ gehen würdest. Denn dort wirst du das Leben nicht ertragen können und wirst murren und vielleicht schließlich geradeheraus sagen: ›Ich bin mit allem quitt.‹ Hierin hat der Rechtsanwalt die Wahrheit gesagt. Solche Lasten sind nicht für alle Menschen, für manche sind sie zu schwer ... Das sind meine Gedanken – falls du sie brauchen kannst. Wenn für deine Flucht andere zur Verantwortung gezogen würden, Offiziere oder Soldaten, so würde ich dir ›nicht erlauben‹ zu fliehen«, sagte Aljoscha lächelnd. »Aber es wird gesagt und versichert, und dieser Etappenkommandant hat es selbst zu Iwan gesagt, daß die Sache wohl ohne schärfere Strafe abgehen wird und die Betreffenden mit einem leichten Verweis davonkommen, sofern man es geschickt anstellt. Zwar ist es unehrenhaft, jemand zu bestechen, sogar in diesem Fall; aber mir steht es nicht zu, dies zu verurteilen. Denn sollten mich zum Beispiel Iwan und Katja beauftragen, in dieser Angelegenheit für dich tätig zu sein, so würde ich es selbst ohne weiteres mit Bestechung versuchen – das muß ich dir wahrheitsgemäß sagen. Und deshalb kann ich nicht Richter über deine eigene Handlungsweise sein. Du sollst jedoch wissen, daß ich dich niemals verurteilen werde. Es wäre ja auch seltsam: Wie könnte ich in dieser Sache dein Richter sein? Nun, jetzt habe ich alles dargelegt, glaube ich.«
»Aber dafür verurteile ich mich selbst!« rief Mitja aus. »Ich werde fliehen – dazu war ich auch schon ohne deinen Rat entschlossen! Kann ein Mitja Karamasow etwa anders handeln? Aber dafür verurteile ich mich selbst und werde lebenslänglich Gott bitten, mir meine Sünde zu vergeben! So reden ja wohl die Juristen, nicht wahr? So wie du und ich jetzt, ja?«
»So ist es«, erwiderte Aljoscha, leise lächelnd.
»Ich liebe dich, weil du immer die volle Wahrheit sagst und nichts verheimlichst!« rief Mitja, fröhlich lachend. »Also da habe ich meinen Aljoscha als Jesuiten ertappt! Abküssen müßte man dich dafür, abküssen! Na, dann
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