Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
unterrichten ...«
»Das wäre wirklich schön! Und ich bekomme bald eine Gehaltszulage, Nastenka ...«
»Schön, also von morgen ab sind Sie unser Zimmerherr ...«
»Ja, und dann wollen wir wieder einmal zum »Barbier von Sevilla« gehen: er wird nämlich nächstens wieder aufgeführt ...«
»Gewiß wollen wir hin!« sagte Nastenka lachend. »Doch nein, lieber nicht zum ›Barbier‹, sondern zu einem andern Stück ...«
»Gut, zu einem andern Stück; das wird auch viel netter sein, ich hatte es mir im Augenblick nicht überlegt ...«
Während wir dies sprachen, waren wir beide wie im Nebel, wie im Rausch, als wüßten wir selbst nicht, was mit uns vorging. Bald blieben wir stehen und sprachen lange, immer auf demselben Flecke bleibend, bald begannen wir wieder zu gehen und kamen Gott weiß wie weit, bald lachten wir, und bald weinten wir. Bald wollte Nastenka plötzlich nach Hause; ich wagte nicht, sie zurückzuhalten und wollte sie bis vor ihr Haus begleiten; wir gingen auch wirklich hin, merkten aber nach einer Viertelstunde, daß wir wieder auf den Kai zu unserer Bank geraten waren. Bald seufzte sie auf, und neue flüchtige Tränen traten ihr in die Augen ... und mich überlief es kalt, und ich wurde wieder verwirrt ... Schon drückte sie mir aber wieder die Hand und zwang mich von neuem auf und ab zu gehen, zu sprechen und zu scherzen ...
»Nun muß ich wirklich nach. Hause! Es ist wohl schon sehr spät,« sagte sie zuletzt. »Wir haben genug Unsinn geredet!«
»Ja, Nastenka, doch ich werde heute nicht mehr einschlafen; ich werde auch gar nicht nach Hause gehen.«
»Auch ich werde wohl nicht schlafen können; begleiten Sie mich aber bis vors Haus ...«
»Gewiß!«
»Diesmal wollen wir unbedingt bis zum Hause kommen!«
»Ja, ganz bestimmt ...«
»Ihr Ehrenwort? Denn ich muß ja doch einmal heimkommen!«
»Mein Ehrenwort!« sagte ich lachend.
»Also gehen wir!«
»Gehen wir ... Schauen Sie nur den Himmel an, Nastenka! Morgen werden wir den schönsten Tag haben; wie blau der Himmel ist, wie schön der Mond scheint! Schauen Sie hin: eine gelbe Wolke will ihn eben verdecken, sehen Sie, sehen Sie! .. Nein, die Wolke ist schon vorbeigeschwommen. Schauen Sie doch hin, schauen Sie!«
Nastenka sah aber nicht zur Wolke empor. Sie stand schweigend und wie angewurzelt da; nach einigen Augenblicken schmiegte sie sich plötzlich seltsam scheu an mich. Ihre Hand zitterte in der meinigen; ich sah sie an ... sie schmiegte sich noch fester an mich.
In diesem Augenblick ging ein junger Mann an uns vorüber. Plötzlich blieb er stehen, sah uns aufmerksam an und machte noch einige Schritte ... Mein Herz erbebte ...
»Nastenka!« fragte ich leise, »Nastenka, wer ist das?«
»Das ist er!« antwortete sie flüsternd und drückte sich ganz fest an mich; dabei zitterte sie immer stärker ... Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten.
»Nastenka, Nastenka, bist du es? Ja, das bist du!« erklang eine Stimme hinter uns, und im gleichen Augenblick ging der junge Mann einige Schritte auf uns zu ...
Mein Gott, wie sie aufschrie! Wie sie zusammenfuhr! Wie sie sich von meinem Arme losriß und ihm zuflog! .. Ich stand ganz niedergeschmettert da und sah die beiden an. Doch kaum hatte sie ihm die Hand gereicht, kaum war sie ihm in die Arme gesunken, als sie sich plötzlich umwandte, wie der Wind, wie der Blitz zu mir eilte, und, ehe ich mich versah, mit beiden Armen meinen Hals umschlang und mir einen heißen herzhaften Kuß auf die Lippen drückte. Dann flog sie, ohne mir ein Wort zu sagen, ihm wieder zu, ergriff seine Hand und zog ihn mit sich fort.
Ich stand noch lange da und sah ihnen nach, bis sie meinen Blicken entschwunden waren.
Der Morgen.
Meine Nächte endeten mit einem Morgen. Der Tag begann trüb und unfreundlich. Es regnete, und die Tropfen prasselten eintönig gegen meine Fensterscheiben; in meinem Zimmer war es dunkel, und im Freien trüb. Mein Kopf schmerzte und schwindelte; ein Fieber schlich sich durch meine Glieder.
»Ein Brief ist für dich gekommen, Väterchen, ein Stadtpostbrief, der Postbote hat ihn gebracht!« Es war Matrjonas Stimme.
»Ein Brief! Von wem?« Ich sprang vom Sessel auf.
»Ich weiß es nicht, Väterchen; sieh nach, vielleicht steht es im Briefe selbst, von wem er ist.«
Ich erbrach den Umschlag. Der Brief war von ihr.
»Oh, verzeihen Sie, verzeihen Sie mir!« schrieb Nastenka, »auf den Knien flehe ich Sie um Verzeihung! Ich habe Sie betrogen und auch mich selbst betrogen. Es
Weitere Kostenlose Bücher