Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Personennämchen, deren Träger sich denn auch sogleich blamierten, als es später auf sie ankam, – selbst die standen in hohem Ansehen. Auch von diesen wurde etwas Großes in dem bevorstehenden Dienst der Menschheit erwartet. Von manchen derselben ward nur mit dem besonderen Geflüster der Ehrfurcht gesprochen ... Und? Dabei habe ich in meinem Leben noch keinen so leidenschaftlich russischen Menschen getroffen, wie es gerade Bjelinski war, obschon vor ihm nur ein Tschaadajeff so dreist, aber mitunter auch so blind wie er, über vieles uns Eigentümliche ungehalten gewesen war und anscheinend alles Russische verachtet hatte. Ich erinnere mich gewisser Momente, die mich jetzt zu diesen Erwägungen veranlassen. Also wer weiß, vielleicht ist dieser Ausspruch Vonwisins sogar einem Bjelinski bisweilen nicht allzu skandalös erschienen. Es gibt doch nun einmal Augenblicke, wo einem selbst die beste und sogar eine rechtmäßige Vormundschaft nicht gerade sehr gefällt. Doch – Gott behüte! – denken Sie nun nicht, daß sein Vaterland lieben die Ausländer schelten heiße, und daß ich es so verstehe. Nein, so denke ich keineswegs, sogar im Gegenteil... Schade nur, daß ich jetzt keine Zeit habe, mich deutlicher zu erklären. Oder befürchten Sie nicht schon, daß ich, statt mich nach Paris zu begeben, einen Ausflug in das Gebiet der russischen Literatur vorziehe? einen literarisch-kritischen Artikel zu schreiben gedenke? Nein, das habe ich hier nur so ... aus beschaulicher Muße.
Nach meinem Merkbuch sitze ich jetzt im Waggon und bereite mich darauf vor, morgen in Eydtkuhnen einzutreffen, d. h. ich erwarte den ersten Eindruck des Auslandes, und bei diesem Gedanken fühle ich sogar mein Herz erschauern. Wie werde ich denn nun endlich Europa sehen, ich, der ich von Europa fast vierzig Jahre lang fruchtlos geträumt, ich, der ich schon als Sechzehnjähriger, und zwar allen Ernstes, wie Njekrassoffs Bjelopätkin
»Nach der Schweiz zu fliehen gedachte«,
und doch nicht floh, und der ich nun endlich in das »Land der heiligen Wunder« fahre, in das Land meiner so langen Sehnsüchte und Erwartungen, meines so hartnäckigen Glaubens! Herrgott, was sind wir denn für Russen? fuhr es mir da durch den Kopf, während ich immer noch in demselben Waggon saß. Sind wir denn überhaupt und wirklich Russen? Warum macht denn Europa auf uns, wer wir auch sein mögen, einen so starken, zauberischen Eindruck, als rufe es uns? Das heißt: ich rede jetzt nicht von jenen Russen, die dort in Europa geblieben sind, und auch nicht von jenen einfachen Russen, deren Name fünfzig Millionen ist und die wir, wir hunderttausend Menschen, noch immer höchst ernsthaft für niemand halten und über die unsere tiefsinnigen satirischen Zeitschriften sich noch bis heute lustig machen, weil sie sich die Bärte nicht scheren. Nein, ich rede jetzt lediglich von unserem privilegierten und patentierten Häuflein. Ist doch alles, entschieden fast alles, was es bei uns an Entwicklung, Wissenschaft, Kunst, Bürgersinn, Menschlichkeit gibt, alles von dort hergekommen, alles aus eben diesem Lande der heiligen Wunder! Hat sich doch unser ganzes Leben schon von unserer ersten Kindheit an nach dem europäischen ABC aufgebaut. Hätte denn überhaupt jemand von uns diesem Einfluß, diesem Ruf, diesem Druck standhalten können? Wie war es nur möglich, daß wir uns nicht endgültig in Europäer verwandelten? Denn: daß wir uns nicht verwandelt haben – das werden, denke ich, alle zugeben, die einen mit Freuden, die anderen natürlich mit Ärger darüber, daß wir eben nicht so weit herangewachsen sind. Doch das ist eine Frage für sich. Ich will hier nur die Tatsache hervorheben, daß wir uns nicht verwandelt haben, sogar trotz so unwiderstehlicher Einflüsse, und diese Tatsache kann ich eigentlich selbst nicht recht verstehen. Es sind doch nicht immer unsere Kinderwärterinnen und Ammen gewesen, die uns vor der Verwandlung bewahrten, wie es mit Puschkin geschah ... Sollte es denn wirklich eine solche chemische Verbindung des Menschengeistes mit der Heimaterde geben, daß man sich doch nicht endgültig von ihr loszureißen vermag, oder wenn man es versucht, dann doch immer wieder, zu ihr zurückkehren muß? Der Slawophilismus ist bei uns gewiß nicht vom Himmel herabgefallen und wenn er auch in der Folge die Gestalt eines Moskauer Einfalls angenommen hat, so ist die Grundlage dieses Einfalls doch etwas breiter als die Moskauer Formel und ruht vielleicht in manchen
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