Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
heruntergerissen, für diese progressive Laus, die Turgenjeff aus der russischen Wirklichkeit herausgekämmt hat, um sie uns vor die Augen zu halten, und man fügte sogar hinzu, er spreche gegen die Emanzipation der Frau. Die Emanzipation der Frau aber ist doch Fortschritt, da sagen Sie, was Sie wollen. Jetzt stehen wir mit einer solchen korporalhaften Selbstsicherheit, als solche Feldwebel der Zivilisation hoch über dem Volke, daß es eine wahre Freude ist, uns anzuschauen: die Hände in die Seiten gestemmt, herausfordernden Blickes – so sehen wir auf das Volk hinab und spucken bloß: »Was sollten wir von dir, grobem Bauer, wohl lernen können, wenn doch die ganze Nationalität, die ganze Volklichkeit im Grunde nur Rückständigkeit ist, nur ein Steuersystem und nichts weiter!« Man wird doch Vorurteile nicht durchgehen lassen, ich bitte Sie! Ach Gott, Vorurteile – da fällt mir soeben etwas ein ... Meine Herrschaften, nehmen wir für einen Augenblick an, daß ich meine Reise schon beendet habe und bereits nach Rußland zurückgekehrt bin, und erlauben Sie mir, eine Anekdote wiederzugeben: ich las sie in diesem Herbst in einer unserer fortschrittlichsten Zeitungen. Es war eine Korrespondenz aus Moskau unter der Überschrift: »Noch Reste der Barbarei« (oder etwas Ähnliches, jedenfalls ein sehr starker Ausdruck. Schade nur, daß ich die Zeitung nicht zur Hand habe). Und es wird erzählt, wie man eines Morgens – es war in diesem Herbst – in Moskau ein Gefährt erblickt hat, auf dem eine betrunkene Brautwerberin saß, noch in der Hochzeitstracht, mit Bändern aufgeputzt und ein Lied singend. Auch der Kutscher war mit Bändern geschmückt und gleichfalls betrunken, ja, auch er brummte sogar ein Lied. Selbst das Pferd war bunt bebändert, nur weiß ich nicht, ob es auch betrunken war. Sicherlich wird es betrunken gewesen sein. Nie Brautwerberin hielt auf dem Schoß ein Bündelchen mit Sachen von dem neuvermählten Paar, das augenscheinlich eine glückliche Nacht verbracht hatte. Dieses Bündelchen enthielt natürlich ein gewisses leichtes Kleidungsstück, das den Eltern der Neuvermählten am nächsten Morgen zu zeigen unter dem einfachen Volke ein alter Brauch ist. Das Volk lachte beim Anblick dieser Ehestifterin; ein spassiges Objekt. Die Zeitung berichtete den Vorfall mit Empörung, nannte ihn, spuckend, schimpfend und mit Entrüstung, eine unerhörte Barbarei, die sich »trotz aller Fortschritte der Zivilisation sogar bis heute erhalten hat!« Meine Herrschaften, ich muß Ihnen gestehen, daß ich darob in lautes Lachen ausbrach. Oh, bitte, denken Sie nicht, daß ich urweltlichen Kannibalismus, diese leichten Kleidungsstücke, Decken usw. verteidige. Das ist abscheulich, das ist unkeusch, das ist wild, ist slawisch, ich weiß, ich gebe es zu, obschon das natürlich ohne schlechte Absicht geschah, sondern im Gegenteil, zur Ehre der jungen Frau, aus reiner Herzenseinfalt, aus Unkenntnis von Besserem, Höherem, Europäischem. Nein, ich lachte über etwas anderes. Und zwar: mir fielen plötzlich unsere Damen und unsere Modegeschäfte ein. Selbstverständlich schicken unsere zivilisierten Damen jetzt keine leichten Sachen mehr zu ihren Eltern, aber wenn es zum Beispiel gilt, bei der Modistin ein Kleid zu bestellen, mit welch einem Scharfsinn, mit wie feiner Berechnung und Sachkenntnis verstehen sie dann, an gewissen Stellen Watte unter ihre bezaubernden europäischen Toiletten zu legen! Warum, wozu diese Watte? Natürlich zur Erhöhung der Eleganz, um der Ästhetik willen, pour paraître ... Und nicht nur sie, auch ihre Töchter, diese unschuldigen siebzehnjährigen Geschöpfe, die kaum das Pensionat verlassen haben, auch die wissen um die Watte schon Bescheid, wissen alles: wozu diese Watte dient, und wo man sie anbringen muß, und warum und weshalb, d. h. speziell zu welchem Zweck das alles angebracht wird ... Nun wohl, dachte ich lachend, diese Mühen, diese Sorgen, diese bewußten Sorgen um wattierte Vergrößerungen, – sind sie nun wirklich reiner, sittlicher, keuscher als jenes unselige leichte Kleidungsstück, das in einfältigem Glauben den Eltern geschickt wird, in der Überzeugung, daß man es tun muß, daß eben dies sittlich sei! ...
Um Gottes willen, meine Freunde, denken Sie nicht, daß ich jetzt eine erbauliche Predigt darüber halten will, daß Zivilisation nicht Entwicklung ist, sondern im Gegenteil, in der letzten Zeit in Europa immer mit der Knute und dem Kerker über jeder Entwicklung
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