Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
fragen, das kann man. Also wie gesagt, ich verstehe nicht, wie ein kluger Mensch gleichviel wann und wo, gleichviel unter welchen Umständen, keine Arbeit für sich finden kann. Man sagt, das sei ein strittiger Punkt, doch in der Tiefe meines Herzens glaube ich das durchaus nicht. Dazu hat man doch den Verstand, um das zu erreichen, was man will. Kannst du nicht gleich eine ganze Werst gehen, so gehe hundert Schritte, immerhin ist das mehr als nichts, bringt dich immerhin näher zum Ziel, wenn du überhaupt zu einem Ziele gehst. Unbedingt mit einem einzigen Schritt zum Ziel gelangen zu wollen, ist meiner Meinung nach durchaus kein Anzeichen von Verstand. Ja, so etwas heißt sogar Arbeitsscheu. Mühe lieben wir nicht, Schritt für Schritt zu gehen sind wir nicht gewohnt, am liebsten würden wir mit einem einzigen Schritt die ganze Strecke bis zum Ziel überspringen. Nun, und eben dies ist ja Arbeitsscheu. Ja, Tschatzki hat doch sehr gut getan, daß er damals wieder ins Ausland entschlüpfte: es lag ihm wohl nicht, hier ein wenig länger zu verweilen und sich dann nach dem Osten, statt nach dem Westen zu begeben. Man liebt bei uns nun einmal den Westen, liebt ihn eben, und im äußersten Fall, d. h. wenn es zur Entscheidung kommt, fahren alle dorthin. Nun ja, auch ich fahre jetzt hin. » Mais moi c'est autre chose «. Ich habe sie dort alle gesehen, d. h. sehr viele, denn alle sind ja gar nicht abzusehen, doch alle, die ich sah, suchen dort, glaube ich, einen Winkel für ein gekränktes Empfinden. Wenigstens suchen sie etwas. Die Generation der Tschatzkis beiderlei Geschlechts hat sich ja seit dem Ball bei Famussoff, und überhaupt nachdem der Ball zu Ende war, dort so vermehrt wie Sand am Meer; und sogar nicht nur die Tschatzkis: sind sie doch alle aus Moskau dorthin gefahren. Wie viele Repetiloffs gibt es jetzt dort, wie viele Skalosubs, die schon ausgedient haben und wegen Untauglichkeit in die Bäder geschickt worden sind. Natalja Dmitrijewna mit ihrem Mann gehört dort unbedingt zu ihnen. Selbst die Gräfin Hlestowa reist in jedem Jahre hin. Sogar Moskau ist allen diesen Herrschaften langweilig geworden. Einzig Molschalin fehlt dort unter ihnen: er hat es sich anders überlegt und ist zu Hause geblieben, nur er allein ist zu Hause geblieben. Er hat sich dem Vaterlande gewidmet, der Heimat, sozusagen. Jetzt kommt man an ihn überhaupt nicht mehr heran; selbst seinen Wohltäter Famussoff würde er jetzt nicht einmal zu sich ins Vorzimmer lassen: »Ein Nachbar vom Lande,« heißt es jetzt, »in der Stadt grüßen wir uns nicht.« Er ist beschäftigt, ja, er allein hat etwas zu tun gefunden. Er ist in Petersburg und ... und hat's weit gebracht. »Er kennt Rußland und Rußland kennt ihn«. Jawohl, gerade ihn kennt es zur Genüge und es wird ihn lange nicht vergessen. Jetzt pflegt er auch nicht einmal mehr zu schweigen, im Gegenteil, nur er allein redet jetzt ... Doch was rede ich von ihm! Ich kam doch auf sie alle zu sprechen, die in Europa einen erquickenden Winkel suchen, und ich muß sagen, ich dachte wirklich, daß sie es dort besser hätten. Statt dessen ist in ihren Gesichtern ein solcher Harm ... Die Ärmsten! Und was ist das für eine ewige Unruhe in ihnen, was für eine krankhafte, sehnsüchtige Geschäftigkeit! Alle haben sie den »Führer« bei sich und in jeder Stadt stürzen sie sich gierig auf die Sehenswürdigkeiten, die sie mit einem Eifer besichtigen, als wären sie dazu verpflichtet, als setzten sie einen vaterländischen Dienst fort: nicht ein einziges dreifensteriges Palais wird von ihnen übergangen, wenn es nur im »Führer« angegeben ist, ebenso kein einziges Rathaus, das sich oft von einem ganz gewöhnlichen Moskauer oder Petersburger Hause kaum unterscheidet; sie gaffen das Rindfleisch eines Rubens an und glauben artig, das seien die drei Grazien, weil der »Führer« so zu glauben befiehlt; sie stürzen zur Sixtinischen Madonna und stehen vor ihr in stumpfer Erwartung: jetzt gleich wird etwas geschehen, irgend jemand wird unter dem Fußboden hervorkriechen und ihren gegenstandslosen Harm und ihre Müdigkeit verscheuchen. Und sie gehen weg, verwundert, daß nichts geschehen ist. Das ist nicht das selbstzufriedene und vollkommen mechanische Interesse englischer Touristen und Touristinnen, die mehr in ihren »Führer« sehen als auf die Sehenswürdigkeiten, die nichts erwarten, weder Neues, noch Erstaunliches, und die nur nachprüfen: ist es auch so im »Führer« angegeben und wieviel Fuß
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