Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
scharfen Linien, wie eigenartigen, nicht nach einem Leisten regulierten Plänen hat es sich in meiner Erinnerung eingezeichnet. Alles ist so riesenhaft und kraß in seiner Eigenart. Sogar täuschen lassen kann man sich von dieser Eigenart. Jede Kraßheit, jeder Widerspruch steht hier Seite an Seite mit der eigenen Antithese und sie gehen eigensinnig Arm in Arm einher, sich gegenseitig widersprechend und doch anscheinend keineswegs einander ausschließend. All das steht, wie's scheint, starrsinnig für sich ein und lebt nach seiner Art und stört sich gegenseitig anscheinend nicht im geringsten. Indessen aber geht auch hier derselbe hartnäckige, dumpfe und schon veraltete Kampf vor sich, der Kampf, auf Tod oder Leben, des allgemein westlichen persönlichen Prinzips mit der Notwendigkeit, sich doch irgendwie miteinander einzuleben; irgendwie eine Gemeinschaft zu bilden und sich in einem einzigen Ameisenhaufen einzurichten; ja, meinetwegen sich in einen Ameisenhaufen zu verwandeln, aber sich einzurichten ohne einander aufzufressen, denn sonst – ist die Verwandlung in Menschenfresser da! In dieser Beziehung ist dort, wenn auch in einer anderen Richtung, dasselbe zu bemerken wie in Paris: dasselbe verzweifelte Bestreben, auf dem status quo stehen zu bleiben – aus Verzweiflung wenigstens stehen zu bleiben –, alle Wünsche und Hoffnungen mit dem Fleisch aus sich herauszureißen, die eigene Zukunft zu verfluchen, an die zu glauben es selbst den Führern des Fortschritts vielleicht schon an Glauben gebricht, und Baal anzubeten. Doch lassen Sie sich bitte nicht vom Pathos irgend welcher Worte bestechen: all das ist als Bewußtheit erst in der Seele der fortgeschrittensten Erkennenden zu bemerken, unbewußt jedoch, instinktiv – in den Lebensverrichtungen der ganzen Masse. Aber der Bourgeois zum Beispiel in Paris ist bewußt, d. h. in seiner Bewußtheit sehr zufrieden und er ist überzeugt, daß alles auch so sein müsse; und er würde Sie sogar verprügeln, wenn Sie zu bezweifeln wagten, daß es so sein muß, würde Sie verhauen, weil er im Grunde doch noch irgend etwas fürchtet, ungeachtet seines ganzen Selbstgefühls. In London ist es eigentlich dasselbe, – und doch: was für breite, erdrückende Bilder! Sogar äußerlich: was für ein Unterschied gegen Paris. Diese Tag und Nacht hastende und wie ein Meer unumfaßbare Stadt, dieses Gepfeif und Geheul der Maschinen, diese über den Häusern (und bald auch unter ihnen) hinjagenden Eisenbahnen, diese Dreistigkeit des Unternehmungsgeistes, diese scheinbare Unordnung, die im Grunde die bourgeoise Ordnung in höchster Entwicklung ist, diese vergiftete Themse, diese mit Kohlenstaub durchsetzte Luft, diese großartigen Squares und Parks, diese unheimlichen Stadtwinkel wie Whitechapel mit seiner halbnackten, wilden und hungrigen Bevölkerung, die City mit ihren Millionen und dem Welthandel, der Kristallpalast, die Weltausstellung ... Ja die Ausstellung kann einen stutzig machen. Man spürt die furchtbare Kraft, die hier alle diese unzähligen Menschen aus der ganzen Welt zu einer einzigen Herde zusammengetrieben hat; man erkennt einen Riesengedanken; man fühlt, daß hier bereits etwas erreicht ist: ein Sieg, ein Triumph. Und eine Angst vor irgend etwas beginnt sich in einem zu erheben. Wie frei und unabhängig man auch sein mag, um irgend etwas überkommt einen doch eine Angst. »Sollte am Ende dies das erreichte Ideal sein?« denkt man bei sich, »ist hier nicht das Ende? Ist das nicht doch schon die verwirklichte › eine Herde‹ der Weissagung? Wird man die nicht wirklich als die volle Wahrheit annehmen und endgültig verstummen müssen?« All das ist so herrschend, so siegbewußt und stolz, daß es Ihnen den Atem zu beengen anfängt. Sie sehen diese Hunderttausende, diese Millionen von Menschen, die gehorsam aus der ganzen Welt hierher zusammenströmen, – Menschen, die alle mit einem einzigen Gedanken gekommen sind, die still, unablässig und stumm sich in diesem riesenhaften Palast umherdrängen, und Sie fühlen, daß sich hier endgültig etwas vollendet, vollendet und vollbracht hat. Das ist irgend ein biblisches Bild, irgend was von Babylon, ist eine Prophezeiung aus der Apokalypse, die sich leibhaftig verwirklicht hat. Sie fühlen, daß es viel ewiger geistiger Gegenwehr und Verneinung bedarf, um standzuhalten und dem Eindruck nicht zu erliegen, sich nicht vor der Tatsache zu beugen und Baal nicht für Gott zu halten, das heißt, das Verwirklichte, Bestehende
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