Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
sich auch nur vorzustellen, von was für einer verfeinerten Höflichkeit, was für einer zudringlichen Aufmerksamkeit sie überall, in der Gesellschaft und auf der Straße, umgeben ist. Doch die wirklich erstaunliche Zweideutigkeit dieser Aufmerksamkeit wird mitunter zu einer so fühlbaren Gemeinheit, daß manch eine ehrliche Seele so etwas einfach nicht ertragen könnte. Die so offensichtliche Falschheit der vorgetäuschten Ehrerbietung würde sie aufs tiefste verletzen. Aber Mabisch ist ja selber eine große Spitzbübin und ... mehr als den Schein verlangt sie doch gar nicht ... Auf ihre Rechnung aber kommt sie dabei doch, und immer wird sie es vorziehen, mit so einem kleinen Betrug auf ihre Rechnung zu kommen, als ehrlich den geraden Weg zu gehen: denn so ist es ihrer Meinung nach für sie sicherer, und es ist auch mehr Spiel dabei. Spiel aber, Intrige – das ist doch das wichtigste für Mabisch; das ist ja die Hauptsache. Dafür – wie kleiden sie sich, wie verstehen sie auf der Straße zu gehen! Mabisch ist manieriert, geziert, in allem unnatürlich, aber gerade das ist es ja, was bestrickt, besonders gewisse blasierte und mehr oder weniger verdorbene Männer, die den Geschmack an frischer, unmittelbarer Schönheit verloren haben. Geistig ist Mabisch äußerst wenig entwickelt; Verstand und Herz sind bei ihr nicht größer als bei einem Vogel, aber dafür ist sie graziös, dafür kennt sie die Geheimnisse so unzähliger Kniffe und Mittelchen, daß man sich besiegen läßt und ihr wie einer pikanten Neuheit folgt. Sie ist sogar nur selten schön an sich. Sie hat sogar etwas Böses im Gesicht. Aber das hat nichts zu sagen; dafür ist dieses Gesicht beweglich, lebhaft und beherrscht in vollendeter Weise die geheimnisvolle Kunst, Gefühl und Natürlichkeit vorzutäuschen. Vielleicht gefällt einem an ihr gar nicht einmal der Umstand, daß ihre Nachahmung der Natur gleichkommt, sondern eben dieser Vorgang, wie sie die Natur durch Nachahmung erreicht, bezaubert einen: die Kunst selbst übt den Zauber aus. Für den Pariser ist es meistenteils vollkommen gleich, ob es echte Liebe ist oder eine gute Nachahmung der Liebe. Ja, vielleicht gefällt ihm die Nachahmung sogar von vornherein mehr. Eine gewissermaßen orientalische Auffassung von der Frau tritt in Paris immer deutlicher hervor. Die Kamelie wird immer mehr Mode. »Nimm Geld und betrüge gründlich, d. h. täusche Liebe vor« – das ist es, was von der Kamelie verlangt wird. Und von der Epouse wird kaum mehr verlangt, wenigstens ist man auch damit zufrieden, und deshalb wird ihr denn auch schweigend und nachsichtig Gustave zugestanden. Außerdem weiß der Bourgeois, daß Mabisch im Alter ganz in seinen Interessen aufgehen und im Geldzusammenscharren seine eifrigste Gehilfin sein wird. Sogar in der Jugend hilft sie ihm bereits außerordentlich. Manchmal führt sie das ganze Geschäft, lockt die Käufer herein, kurz, sie ist seine rechte Hand, sein erster Kommis. Wie sollte man ihr da nicht so eine kleine Schwäche für irgendeinen Gustave verzeihen! Auf der Straße ist die Frau unantastbar. Niemand beleidigt sie, alle machen ihr Platz, und es ist dort nicht so, wie bei uns, wo eine Frau, wenn sie nicht gerade ganz alt ist, keine zwei Schritt auf der Straße gehen kann, ohne daß ihr irgendeine kriegerische oder müßig-kecke Physiognomie unter das Hütchen blickte und vorschlüge, Bekanntschaft zu machen.
Übrigens ist, ungeachtet der Möglichkeit eines Gustave , die alltägliche zeremonielle Umgangsform zwischen Bribri und Mabisch recht nett und oft sogar naiv, überhaupt sind die Menschen im Auslande – das ist mir sofort in die Augen gesprungen – fast alle unvergleichlich naiver als wir Russen. Es ist schwer, das näher zu erklären: man muß das selbst erleben. » Le Russe est sceptique et moqueur ,« sagen die Franzosen von uns und das stimmt. Wir sind mehr Zyniker, schätzen das Eigene weniger, ja, wir lieben es nicht einmal, wenigstens achten wir es nicht im geringsten, ohne dabei zu begreifen, um was es sich handelt; wir drängen uns in europäische, allmenschliche Interessen, ohne überhaupt zu einer Nation zu gehören, und so verhalten wir uns natürlich zu allem viel kühler, gleichsam nur so pflichtschuldigst und jedenfalls abstrakter. Übrigens bin ich von meinem Thema abgekommen.
Ja, Bribri ist mitunter wirklich ungeheuer naiv. Wenn er z. B. um die Springbrünnlein herumspaziert, beginnt er gar, seiner Bisch zu erklären, warum das Wasser der
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