Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
thront ...« Kurz, alles war in dieser Art; es war erstaunlich schön. Der redende Rechtsanwalt schmolz sichtlich selber vor Freude darüber, daß er so schön zu reden verstand, desgleichen schmolz der Vorsitzende, schmolz der Gerichtshof, schmolz das Publikum. Die Ordensväter verloren die Schlacht einzig dank der Redekunst. Natürlich werden sie deshalb den Kopf nicht hängen lassen ... Einmal haben sie verloren, fünfzehnmal werden sie gewinnen.
»Wer ist dieser Rechtsanwalt?« fragte ich einen jungen Studenten, der dort unter den andächtigen Zuhörern mir am nächsten stand. Studenten gab es da eine Menge und alle benahmen sie sich so artig. Der Student sah mich verwundert an.
»Jules Favre!« sagte er schließlich, sagte es aber mit so verachtendem Mitleid, daß ich mich natürlich ganz verwirrt fühlte. So hatte ich denn Gelegenheit gehabt, die Blüten der französischen Redekunst und ihren Geist sozusagen aus der ersten Quelle kennen zu lernen.
Doch solcher Quellen gibt es eine Menge. Der Bourgeois ist bis in die Fingerspitzen mit Redekunst durchtränkt. Einmal gingen wir ins Pantheon, um die Ruhestätte der großen Männer Frankreichs zu sehen. Es war aber nicht die vorschriftsmäßige Besuchszeit und man verlangte von uns zwei Franken. Darauf nahm der vor Alter zitterige Invalide die Schlüssel und führte uns in die Grabgewölbe. Unterwegs sprach er noch wie ein Mensch, wenn auch aus Mangel an Zähnen ein wenig undeutlich. Doch kaum waren wir unten beim ersten Sarge angelangt, da begann er auch schon zu singen.
» Ci-gît Voltaire, – Voltaire , dieses große Genie des schönen Frankreich – de la belle France ! Er rottete die Vorurteile aus, vernichtete die Unwissenheit, kämpfte mit dem Engel der Finsternis und hielt die Leuchte der Aufklärung hoch. In seinen Tragödien hat er Großes erreicht, obschon Frankreich bereits Corneille besaß.«
Er sprach offenbar auswendig Gelerntes. Irgend jemand wird ihm wohl einmal diese Litanei auf ein Blatt Papier geschrieben haben und die hatte er dann für sein ganzes Leben auswendig gelernt. Sein altes, gutmütiges Gesicht verklärte sich förmlich vor Wonne, als er seinen hohen Stil vor uns ausbreiten konnte.
» Ci-gît Jean Jacques Rousseau ,« fuhr er fort, an einen anderen Sarg tretend. » Jean Jacques, l'homme de la nature et de la vérité !«
Mich wandelte plötzlich Lachlust an. Durch hochtrabende Rede kann man tatsächlich alles lächerlich machen. Und zudem sah man doch, daß der arme Alte, als er von der nature und der vérité sprach, selber entschieden keine Ahnung hatte, um was es sich handelte.
»Sonderbar!« sagte ich. »Von diesen beiden großen Männern hat der eine den andern sein Lebelang einen Lügner und üblen Menschen genannt, und dieser den ersteren wiederum einfach einen Dummkopf. Und nun liegen sie hier fast Seite an Seite.«
»Mßjö, mßjö!« entfuhr es dem Invaliden – offenbar wollte er mir widersprechen, aber dann tat er es doch nicht, sondern führte uns schneller zu einem anderen Sarkophag.
» Ci-gît, Lannes , der Marschall Lannes,« begann er von neuem zu singen, »einer der größten Helden Frankreichs, das so überreich mit Helden gesegnet ist. Das war nicht nur ein großer Marschall, der geschickteste Heerführer, ausgenommen den großen Kaiser, sondern ihm ward auch noch das höchste Glück zuteil. Er war der Freund ...«
»Nun ja, er war der Freund Napoleons,« sagte ich, um die Rede abzukürzen.
»Mßjö! Erlauben Sie, daß ich rede,« unterbrach mich der Invalide mit gleichsam ein wenig gekränkter Stimme.
»Reden Sie, reden Sie nur, ich höre.«
»Ihm ward auch noch das höchste Glück zuteil. Er war der Freund des großen Kaisers. Kein anderer von allen seinen Marschällen hatte das Glück, dem großen Manne Freund zu werden. Einzig der Marschall Lannes ward dieser großen Ehre gewürdigt. Als er auf dem Schlachtfelde für sein Vaterland fiel ...«
»Nun ja, ein Geschoß zerschmetterte ihm beide Beine.«
»Mßjö, mßjö! Gestatten Sie doch, daß ich es selber sage,« rief der Invalide mit fast klagender Stimme. »Sie wissen das vielleicht schon ... Aber so lassen Sie es doch auch mich erzählen!« – Der wunderliche Alte wollte sich schon gar zu gern reden hören, auch wenn wir alles bereits wußten.
»Als nun der Marschall im Sterben lag,« fuhr er also von neuem fort, »für sein Vaterland, auf dem Felde der Schlacht, da kam der Kaiser, aufs Tiefste erschüttert und schmerzlich beklagend den
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