Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Unbeabsichtigtes und Zufälliges zu halten, d. h. ich glaube, daß der Verfasser sich selbst von seinen Worten hat überzeugen lassen und sie für wahr hält – mit jenem höheren Biedersinn, der so löblich und in jedem anderen Fall durch seine Harmlosigkeit sogar rührend ist. Doch abgesehen davon, daß eine Lüge, die für Wahrheit gehalten wird, immer die gefährlichste Lüge ist (selbst dann, wenn sie in der »Russischen Welt« erscheint), – es fällt einem außerdem sofort auch dies auf, daß sie noch nie in so nackter, bestimmter und ungeprüfter Gestalt aufgetreten ist, wie in diesem kleinen Artikel. In der Tat, man sagt ja auch: zwinge einen anderen Menschen zum Beten und er schlägt sich die Stirn ein. Gerade in dieser Gestalt aber ist die Lüge interessant zu untersuchen und nach Möglichkeit aufzudecken. Hinzu kommt, daß man doch nicht weiß, wie lange man wird warten müssen, bis man wieder einmal auf eine so ungeprüfte Aufrichtigkeit stoßt!
Da ist es nun von der liberalen Presse schon seit unseren uralten pseudo-liberalen Zeiten zur Regel erhoben, »die Jugend zu verteidigen«. Gegen wen? gegen was? – das bleibt meist im Dunkel der Ungewißheit und auf die Weise bekommt das ganze Vorgehen oft etwas überaus Sinnloses und sogar höchst Komisches, besonders bei Angriffen auf andere Organe der Presse in dem Sinne von: »Seht, wir sind liberaler, ihr aber fallt über die Jugend her, folglich seid ihr reaktionärer.« Ich bemerke hierzu in Klammern, daß derselbe kleine Artikel der »Russischen Welt« eine Anschuldigung enthält, die im besonderen gegen den »Bürger« gerichtet ist: angeblich weil in ihm unsere studierende Jugend in Petersburg, Moskau und Charkoff ausnahmslos angeklagt werde. Ich will mich nicht weiter dabei aufhalten, daß der Verfasser des Artikels selbst ganz vorzüglich weiß , daß es in unserem Blatt nichts, was einer allgemeinen und ausnahmslosen Anklage auch nur ähnlich wäre, gegeben hat noch gibt, sondern bitte unseren Ankläger nur zu erklären: was heißt das, die Jugend ausnahmslos anklagen? Ich verstehe diesen Satz überhaupt nicht! Was soll natürlich heißen, daß wir aus irgendeinem Grunde die ganze Jugend ohne Ausnahme nicht lieben, – und nicht einmal so sehr die Jugend überhaupt, als gerade ein gewisses Alter unserer jungen Menschen? Was ist das für ein Unsinn! Wer kann eine solche Anklage ernst nehmen? Es ist klar, daß sowohl die Anklage wie die Verteidigung mit größter Oberflächlichkeit geschrieben worden sind, ohne daß man sich viel dabei gedacht hätte. Ja, eben: »Lohnt es sich denn überhaupt, darüber nachzudenken? Ich habe gezeigt, daß ich selbst liberal bin, daß ich die Jugend lobe und diejenigen schelte, die sie nicht loben, na und damit ist der Artikel fertig und ist's abgetan!« Ja, eben: und ist's abgetan; denn nur der schlimmste Feind unserer Jugend könnte sich entschließen, sie auf die Weise zu verteidigen, – und dabei auf eine so erstaunliche Ausrede verfallen (unvermutet, ungewollt – davon bin ich jetzt überzeugter denn je), wie der harmlose Verfasser des kleinen Artikels in der »Russischen Welt«.
Die ganze Wichtigkeit des Falles besteht nur darin, daß dieses Verfahren nicht eine Erfindung bloß der »Russischen Welt« ist, sondern von vielen Organen unserer pseudoliberalen Presse angewandt wird, von diesen aber geschieht das vielleicht nicht mehr so aus reiner Einfalt. Das Wesen dieses Verfahrens besteht erstens : im ausnahmslosen Lob der Jugend, und zwar in jeder Beziehung und in jedem Fall; und zweitens: in plumpen Angriffen auf alle anderen, die sich in dem einen oder anderen Fall erlauben, sich auch zu der Jugend kritisch zu verhalten. Aufgebaut ist dieses Verfahren auf der lächerlichen Annahme, daß die Jugend noch so unreif sei und Lob so liebe, daß sie nichts zu unterscheiden verstehe und alles für bare Münze nehme. Und in der Tat, sie haben erreicht, daß schon sehr viele unter der Jugend (wir glauben fest, daß es bei weitem nicht alle sind) an plumpem Lob wirklich Geschmack gefunden haben, daß sie nun schon Schmeichelei verlangen und bereit sind, alle diejenigen, die ihnen nicht ausnahmslos und auf Schritt und Tritt, besonders aber in gewissen Fällen, Beifall spenden, ohne Unterschied anzuklagen, übrigens ist das vorläufig nur ein zeitweiliger Übelstand; mit zunehmender Erfahrung und zunehmendem Alter werden sich die Anschauungen auch dieser Jugend ändern. Aber es gibt noch eine andere Seite der Lüge,
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