Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
jenem Worte »Unglückliche«, in jenem Urteilsspruch des Volkes klang ein anderer Gedanke. Vier Jahre Zuchthaus waren eine lange Schule; ich hatte Zeit, mich zu überzeugen ...
Eine der zeitgemäßen Fälschungen.
Einige unserer Kritiker haben neuerdings bemerkt, daß ich in meinem letzten Roman »Die Dämonen« die Geschichte des bekannten Retschajeff-Prozesses benutzt hatte; doch gleichzeitig stellen sie fest, daß eigentliche Porträts oder eine buchstäbliche Verwendung des Falles Netschajeff in meinem Roman nicht enthalten sei; es sei bloß die Erscheinung an sich genommen und ich hätte nur versucht, die Möglichkeit einer solchen in unserer Gesellschaft zu erklären, und zwar schon im Sinne einer gesellschaftlichen Erscheinung, nicht im Sinne einer zufälligen Begebenheit, also sei es nicht eine Darstellung des Moskauer speziellen Falles. Alles dies ist, das sage ich von mir aus, vollkommen richtig. Auf die Person des bekannten Netschajeff wie auf die seines Opfers Iwanoff habe ich in meinem Roman keinen Bezug genommen. Die Gestalt meines Netschajeff gleicht natürlich keineswegs dem wirklichen Netschajeff. Ich wollte nur die Frage aufstellen und dann in der Form eines Romans eine möglichst klare Antwort auf die Frage geben: wie in unserer, in einem Übergangszustande befindlichen und wunderlichen Gesellschaft nicht speziell dieser eine Netschajeff möglich war, sondern wie überhaupt Netschajeffs in ihr möglich sind und auf welche Weise es geschehen kann, daß diese Netschajeffs schließlich Netschajewzen um sich zu sammeln vermögen?
Nun habe ich unlängst – übrigens ist es doch schon einen Monat her – in der »Russischen Welt« folgende merkwürdige Zeilen gelesen:
»... Der Prozeß Netschajeff hat, wie uns scheint, einen jeden überzeugen können, daß die studierende Jugend bei uns in ähnliche Verrücktheiten nicht verwickelt zu sein pflegt. Ein idiotischer Fanatiker von der Art Netschajeffs konnte seine Proselyten nur unter der müßigen, unreifen und keineswegs studierenden Jugend finden.«
Und weiter:
»... um so mehr, als noch vor ein paar Tagen der Minister der Volksaufklärung erklärt hat (in Kiew), er könne nach der Besichtigung der Unterrichtsanstalten in sieben Kreisen nur sagen, daß › in den letzten Jahren die Jugend sich unvergleichlich ernster zur Wissenschaft verhalte, viel mehr und unvergleichlich gründlicher arbeite, als früher ‹.«
An und für sich sind ja diese Zeilen, d.h. wenn man sie unbezüglich nimmt, ziemlich nichtssagend (ich hoffe, der Verfasser wird mich entschuldigen). Aber sie sind eine Ausrede und enthalten eine alte, schon so zuwider gewordene Lüge. Der ganze Grundgedanke besteht darin, daß, wenn bei uns manchmal auch Netschajeffs auftauchen, diese doch unbedingt alle nur Idioten und Fanatiker seien; und wenn es ihnen auch gelinge, Proselyten zu machen, so geschehe das unbedingt » nur unter der müßigen, unreifen und keineswegs studierenden Jugend«. Ich weiß nicht, was der Verfasser dieses kleinen Artikels mit dieser Ausrede eigentlich hat beweisen wollen: vielleicht wollte er der studierenden Jugend schmeicheln? Oder wollte er, im Gegenteil, mittels eines schlauen Manövers und sozusagen in der Form einer Schmeichelei die Jugend ein wenig überlisten, jedoch nur mit den achtbarsten Absichten, nämlich nur zu ihrem eigenen Besten, und da hat er es denn, um den Zweck zu erreichen, mit einem Mittel versucht, das Gouvernanten und Kinderfrauen ihren kleinen Pfleglingen gegenüber anzuwenden pflegen: »Seht, meine lieben Kinderchen, was jene dort für ungezogene Rangen sind, wie sie schreien und wie sie sich prügeln, und sicher werden sie dafür Ruten bekommen, daß sie so ›unreif‹ sind; ihr aber seid so liebe, artige Kinderchen, sitzt bei Tische hübsch gerade, schlenkert nicht mit den Beinchen unter dem Tisch, und dafür werdet ihr auch bestimmt etwas Schönes bekommen«. Oder vielleicht hat der Verfasser unsere studierende Jugend vor der Regierung »verteidigen« und zu dem Zweck einen Kunstgriff anwenden wollen, den er vielleicht selber für ungemein schlau und fein hält?
Doch ich sage offen: obschon ich alle diese Fragen gestellt habe, erwecken die persönlichen Absichten des Verfassers doch nicht das geringste Interesse in mir. Und ich füge sogar hinzu, um die Entschuldigung gleich abzutun, daß ich geneigt bin, die Lüge und die alte faule Ausrede, die in jenem Artikel zum Ausdruck kommen, im vorliegenden Fall für etwas
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