Werke
Testament«, bemerkte ich, »liegt ja seit Jahren schon im Stadtgerichte; und überdies – wie mir erzählt wurde – ein Viertel an die Stadt, drei Viertel an eine milde Stiftung; das lautet doch nicht eben menschenfeindlich.«
Mein Nachbar nickte. »Freilich! Aber zum ersten war sie durch das Testament ihres Seligen gezwungen; das andere – eine schöne Stiftung, dieses Land-und Seespital!«
Ich fragte näher nach.
»Sie werden«, fuhr der Nachbar fort, »es bei der Kürze Ihres hiesigen Aufenthalts noch kaum gesehen haben: es ist eine reichdotierte Versorgungsanstalt für ausgebrauchte Seeleute und Soldaten, das heißt für die unterste Klasse derselben. Die Stiftung rührt von einem reichen kinderlosen Geschwisterpaare her, einem alten Major und einer Seekapitänswitwe. Unter den Linden vor dem schönen Hause, draußen auf einem Hügel vor dem Nordertore, das sie in den letzten Jahren gemeinschaftlich bewohnten, sieht man jetzt reihenweis die alten Burschen mit ihren blauroten Nasen vor der Tür sitzen; die einen in alten roten oder blauen Soldatenröcken, die andern in schlotterigen Seemannsjacken, alle aber mit einem Pfeifenstummel im Munde und einem Schrotdöschen in der Westentasche. Bleibt man ein Weilchen auf dem Wege stehen, so sieht man sicher bald den einen, bald den anderen ein grünes oder blaues Fläschchen aus der Seitentasche holen und mit wahrhaft weltverachtendem Behagen an die Lippen setzen. Die Fläschchen, über deren Inhalt kein gerechter Zweifel sein kann, nennen sie ihre ›Flötenvögel‹; und für diese Vögel, welche – getreu dem Willen der Stifter – nur zu oft gefüllt werden, sind jene drei Viertel des ungeheueren Vermögens bestimmt worden.«
»Und welches Interesse«, fragte ich, »kann die Testatrix an diesen alten Branntweinsnasen haben?«
»Interesse? – Ich denke, keins, als daß das Geld aus einem Rumpelkasten in den andern kommt.«
»Hm! Die Alte muß doch eine merkwürdige Frau sein; ich denke, wir versuchen dennoch unsere Visite!«
Man wünschte uns lachend Glück auf den Weg.
Aber wir kamen nicht hinein. Zwar öffnete sich die Haustür; aber nur eine Handbreit, so stieß sie auf eine von innen vorgelegte Kette. Ich schlug den Messingklopfer an und hörte, wie es drinnen widerhallte und in der Tiefe wie in leeren Räumen sich zu verlieren schien; dann aber folgte eine Totenstille. Als ich noch einmal hämmern wollte, zupfte meine Frau mich am Ärmel: »Du, die Leute lachen uns aus!« Und wirklich, die Vorübergehenden schienen uns mit einer gewissen Schadenfreude zu betrachten.
So ließen wir es denn an unserer guten Absicht genug sein und kehrten in unser eigenes Heim zurück.
Gleichwohl sollte sich bald darauf eine gewisse Beziehung zwischen mir und der Nachbarin links ergeben.
Es war im Nachsommer, als ich und meine Frau in den Garten gingen, um uns das Vergnügen einer kleinen Obsternte zu verschaffen. Der Augustapfelbaum, an den ich schon vorher eine Leiter hatte ansetzen lassen, befand sich dicht an der hohen Mauer, welche unseren Garten von dem des Jansenschen Hauses trennte. Meine Frau stand mit einem Korbe in der Hand und blickte behaglich in das Gezweige über ihr, wo die roten Äpfel aus den Blättern lugten; ich selbst begann eben die Leiter hinaufzusteigen, als ich von der anderen Seite einen scharfen Steinwurf gegen die Mauer hörte, und gleich darauf unser dreifarbiger Kater mit einem Angstsatz von drüben zu uns herabsprang.
Neugierig über dieses Lebenszeichen aus dem Nachbargarten, von wo man sonst nur bei bewegter Luft die Blätter rauschen hörte, lief ich rasch die Leiter hinauf, bis ich hoch genug war, um in denselben hinabzusehen.
– Mir ist niemals so ellenlanges Unkraut vorgekommen! Von Blumen oder Gemüsebeeten, überhaupt von irgendeiner Gartenanlage war dort keine Spur zu sehen; alles schien sich selbst gesäet zu haben; hoher Gartenmohn und in Saat geschossene Möhren wucherten durcheinander: in geilster Üppigkeit sproßte überall der Hundsschierling mit seinem dunkeln Kraute. Aus diesem Wirrsal aber erhoben sich einzelne schwer mit Früchten beladene Obstbäume, und unter einem derselben stand eine fast winzige zusammengekrümmte Frauengestalt. Ihr schwarzes verschossenes Kleid war von einem Stoffe, den man damals Bombassin nannte; auf dem Kopfe trug sie einen italienischen Strohhut mit einer weißen Straußenfeder. Sie stand knietief in dem hohen Unkraut, und jetzt tauchte sie gänzlich in dasselbe unter, kam aber
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