Werke
Knabenaugen glühten; es war ein Mädchenkopf von bestrickendem Liebreiz.
»Gefällt sie dir?« fragte der Großvater. »Aber hier ist sie als Braut gemalt; in deinen Jahren hättest du den kleinen wilden Schwarzkopf sehen sollen!«
Und nun erzählte er mir von diesem hübschen Spielgesellen. – Allerlei Zeitvertreib, Schmuck und farbige Gewänder hatte der selten daheim weilende Vater dem einzigen Töchterlein von seinen Reisen mitgebracht; von ausländischen goldenen Münzen und Schaustücken hatte sie eine ganze Sparbüchse voll gehabt. In ihrem Garten war ein seltsames Lusthäuschen gewesen, das der Vater einmal aus den Trümmern eines früheren Schiffes hatte bauen lassen. »Dort«, sagte der Großvater, »auf den Treppenstufen saßen wir oft zusammen, und ich durfte dann mit ihr den goldenen Schatz besehen, den sie aus der Blechbüchse in ihren Schoß geschüttet hatte.«
Er ging, während er so erzählte, langsam auf und ab; an seinem Lächeln konnte ich sehen, wie eine Erinnerung nach der andern in ihm aufstieg. »Min swartes Mäusje!« sagte er. »Ja, so pflegte der alte Seebär das verzogene Kind zu nennen; aber wenn sie so im goldgestickten griechischen Jäckchen, mit allerlei Federschmuck ausstaffiert, in ihrem Gärtchen umherstolzierte, dann hätte man sie wohl noch mehr einem bunten fremdländischen Vogel vergleichen mögen. Oh, und auch fliegen konnte sie! Über der Tür des Lusthauses war die frühere Galion des Schiffes angebracht, eine schöne hölzerne Fortuna, die mit vorgestrecktem Leibe aus dem Frontespice hervorragte. Dort oben auf deren Rücken war der Lieblingsplatz des Kindes; dort lag sie stundenlang, ein buntes chinesisches Schirmchen über sich, oder im Sonnenschein mit ihren goldenen Münzen Fangball spielend.«
Noch vielerlei erzählte mir der Großvater, aber nur jenes eine Mal; auch das verführerische Bildchen zeigte er mir niemals wieder. Obgleich meine Augen oft begehrlich an dem Schranke hingen, so wagte ich doch nicht, ihn darum anzugehen; denn als er es mir damals endlich wieder aus der Hand genommen hatte, war der alte Herr so seltsam feierlich gewesen und hatte es in so viele Seidenpapierchen eingewickelt, daß das Ganze einer symbolischen Beisetzung nicht ungleich war.
– – Wie es nun geschieht, seit Monden war ich jetzt hier in der Geburtsstadt meines Großvaters, und doch, erst heute ging ich zu diesem Besuche der Vergangenheit in den schon winterlichen Tag hinaus.
Absichtlich hatte ich jede Erkundigung unterlassen; wenn auch der Name der Straße mir nicht mehr erinnerlich war, ich hoffte mich schon allein zurechtzufinden. So hatte ich schon verschiedene Stadtteile kreuz und quer durchwandert, als mir plötzlich durch eine offene Haustür die schwebende Ungestalt eines Haies in die Augen fiel. – Ich stutzte; – aber weshalb sollte denn der ausgestopfte Hai nicht noch am Leben sein? Das Haus sah völlig danach aus, als sei es mit allen seinen Raritäten von einem Besitzer auf den anderen fortgeerbt. Und richtig! Als ich in die Höhe blickte, da drehte sich auch ein Schiffchen auf der Wetterstange des Daches! Das war das Haus des schönen Nachbarkindes; das urgroßelterliche mußte nun dicht daneben sein! Aber – es war überhaupt kein Haus mehr da; nur ein leerer Platz mit Mauerresten und gähnenden Kellerhöhlen; auch frisch behauene Granitblöcke zum Fundament eines Neubaues lagen rings umher.
Ich sah es wohl, ich war zu spät gekommen. Sinnend schritt ich über die wüste Stätte, die einst für Menschen meines Blutes eine kleine Welt getragen hatte. Ich ging in den dahinterliegenden Steinhof und blickte in den Brunnen, mit dessen Eimer der Großvater einmal, wie er mir erzählt hatte, in die Tiefe hinabgeschnurrt war; dann trat ich auf einen Haufen Steine, von wo aus ich über eine Grenzplanke in den Nachbargarten sehen konnte. Und dort – kaum wollte ich meinen Augen trauen – stand, unverkennbar, noch das seltsame Lusthäuschen, und auch die hölzerne Fortuna streckte sich noch gar stattlich in die Luft; ja die Wangen waren noch ganz ziegelrot, und lichtblaue Perlenschnüre zogen sich durch die gelben Haare; sie war augenscheinlich erst neulich wieder aufgemuntert.
Wie lebendig trat mir jetzt alles vor die Seele! Jener Efeu, der die Mauer des Gartenhäuschens überzog, war schon damals dort gewesen; an seinen Trieben war der kleine wilde Schwarzkopf auf und abgeklettert; drüben von dem Rücken der Fortuna herab war ihr neckendes Stimmlein erschollen,
Weitere Kostenlose Bücher