Werke
wenn der gutmütige Nachbarsjunge unten im Gebüsche des Gartens nach ihr gesucht hatte. Ich mußte plötzlich eines Wortes gedenken, das der Großvater, so vor sich hin redend, und wie mit einem Seufzer über Unwiederbringliches, seiner damaligen Erzählung beigefügt hatte. »Sie war eigentlich schon damals eine kleine Unbarmherzige«, hatte er gesagt; »das eine Füßchen mit dem roten Saffianschühchen baumelte ganz lustig in der Luft; aber ich stand unten und mußte ihr die goldenen Stücke wieder zuwerfen, wenn sie bei ihrem Spiel zur Erde fielen, und oft sehr lange betteln, bis das Vögelchen zu mir herunterkam.«
– Schon damals unbarmherzig? – Es war mir niemals eingefallen, den Großvater zu fragen, inwiefern oder gegen wen sie es späterhin gewesen oder wie überhaupt das Leben seiner schönen Spielgenossin denn verlaufen sei. – Freilich hätte auch wohl der Knabe keine Antwort darauf erhalten, denn als nach seinem Tode das kleine Bild noch einmal durch meine Hand ging, vertraute mein Vater mir, daß dieses schöne Mädchen nicht nur die Jugendgespielin, sondern ganz ernstlich die Jugendliebe des alten Herrn gewesen sei. Zuletzt, als junger Kaufmann, sei er in Antwerpen mit ihr zusammengetroffen, habe aber bald darauf – wie es geheißen, durch ein Zerwürfnis mit ihr getrieben – einen Platz in einem überseeischen Handlungshause angenommen, von wo er erst in reiferen Mannesjahren zurückgekehrt sei. – Weiteres wußte auch er nicht zu berichten; nur daß die gute Großmutter, die er dann geheiratet habe, mitunter wirklich eifersüchtig auf das kleine Bild gewesen sei.
– – Voll Gedanken über das schöne schwarzköpfige Mädchen war ich zu Hause angelangt; immer sah ich sie vor mir, bald auf dem Rücken der Fortuna mit den goldenen Münzen spielend, bald in ihrer üppigen Mädchenschönheit, wie jenes Bild sie mir gezeigt hatte, mit dem übermütigen Füßchen den armen Großvater in die Welt hinausstoßend.
»Seltsam«, sagte ich zu meiner Frau, »woran ich als Knabe nie gedacht – jetzt brenne ich vor Begierde, noch einmal den Vorhang aufzuheben, hinter dem sich jenes nun wohl längst verrauschte Leben birgt.«
»Vielleicht«, erwiderte sie, »wenn du die Ureinwohner dieser Stadt zu Protokoll vernimmst!«
»Zum Beispiel, unsere Nachbarin links!« sagte ich lächelnd.
»Warum denn nicht? Sie wird ja doch einmal deine Visite par distance erwidern.«
Wir sprachen nicht weiter von der Sache; aber im stillen dachte ich selber auch: ›Warum denn nicht?‹
Es war Winter geworden. Ein klingender Frost war eingefallen, der eisige Nordost blies durch alle Ritzen. Ich schüttete eben eine Ladung Steinkohlen in meinen Ofen und verhandelte dabei mit meiner Frau, ob wir nicht aus schierer Barmherzigkeit unsere Hühner schlachten sollten, denen wir keinen warmen Stall zu bieten hatten; da – es war noch früh am Morgen – trat fast ohne Anklopfen mein jetzt verstorbener Freund, der Bürgermeister, in das Zimmer. Auf meine Frage, was ihn schon jetzt aus Schlafrock und Pantoffeln herausgebracht habe, erklärte er, meine Nachbarin, die alte Madame Jansen, sei soeben besinnungslos und fast verklommen auf ihrer Bodentreppe gefunden worden. »Der alte Geizdrache«, setzte er hinzu, »heizt nur mit dem Fallholz aus dem Apfelgarten; es ist kein warmer Fleck in dem ganzen Rumpelkasten; und nachts, wenn ehrliche Leute in ihren Betten liegen, kriecht sie vom Boden bis zum Keller, um ihre Schätze zu beäugeln, die sie überall hinter Kisten und Kasten weggestaucht hat.«
»So sagt man«, ließ ich einfließen.
– »Freilich, und so wird’s auch sein! Wie ein toter Alraun huckte sie in dem dunklen Treppenwinkel, ein ausgebranntes Diebslaternchen noch in der erstarrten Hand. Das Schlimmste bei der Geschichte ist, sie hat das Leben wiederbekommen; aber nach Angabe des Polizeimeisters, der – glaub ich – ein Verwandter von ihr ist, soll der Verstand zum Teufel sein; sonderbar genug, daß der die alte Hexe nicht auf einmal ganz geholt hat!«
»Nun aber, Verehrtester«, sagte ich, als der Bürgermeister innehielt, »was können wir beide bei der Sache machen?«
»Wir? – Hm, sie könnte in diesem Zustande Unheil anrichten; es wird schon der Stadt wegen unsere Pflicht erheischen, ihr causa cognita einen Kurator zu bestellen.«
– »Sie meinen des Vermächtnisses wegen? Aber ich dächte, das beruhe auf einer Disposition des seligen Herrn Sievert Jansen!«
»Da liegt es gerade; die Sache ist nicht
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