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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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gleich darauf mit einem langen Obstpflücker wieder daraus zum Vorschein, den sie vermutlich bei dem Angriff auf meinen armen Kater von sich geworfen hatte. – Obgleich sie das Ding nur mühsam zu regieren schien, stocherte sie doch emsig damit zwischen den Zweigen umher und brachte auch rasch genug eine Birne nach der anderen herunter, die sie dann scheinbar in das Unkraut, in Wirklichkeit aber wohl in ein darin verborgenes Gefäß mit einer gewissen feierlichen Sorgfalt niederlegte.
    Ich beobachtete das alles mit großer Aufmerksamkeit und fühlte erst jetzt, daß meine Frau in ihrer weiblichen Ungeduld mich in höchst gefährlicher Weise von der Leiter zu schütteln suchte; aber ich blieb standhaft und umklammerte schweigend einen derben Ast, denn in demselben Augenblick war der Alten drüben eine Birne aus ihrem Obstpflücker gefallen, und als sie sich wandte, um sie aufzuheben, war sie mich gewahr geworden. Sie war sichtlich erschrocken und blieb ganz unbeweglich stehen; aus dem verfallenen Antlitz einer Greisin starrten unter dem großen Strohhute mich ein Paar schwarze Augen so grellen Blickes an, daß ich fast gezwungen war, eine unverkennbar scharfe Musterung über mich ergehen zu lassen. Aber auch ich betrachtete mir indessen das Gesicht der alten Dame, das zu beiden Seiten der ziemlich feingeformten Nase mit einigen Rollen falscher Locken eingerahmt war, wie sie vordem auch wohl von jüngeren Frauen getragen wurden. Als ich dann fast verlegen meinen Hut vom Kopfe zog, erwiderte sie dies Kompliment durch einen feierlichen Knicks im strengsten Stile, wobei sie ihren Obstbrecher wie eine Partisane in der Hand hielt.
    Aber meine Frau begann wieder zu schütteln, und nun stieg ich als guter Ehemann zur Erde nieder.
    Natürlich hatte ich Rechenschaft zu geben. »Wo sind die Äpfel, Mann?«
    – »Wo sie immer waren, droben im Baume.«
    »Aber, was hast du denn getrieben?«
    – »Ich habe der Madame Sievert Jansen unsere Nachbarvisite abgestattet.« Und nun erzählte ich.
    – – Am anderen Morgen in der Frühe brachte eine alte Frau, voraussetzlich die bewußte Brotfrau, uns einen Korb voll Birnen und eine Empfehlung von Madame Jansen, der Herr Stadtsekretär möge doch einmal ihre Moule-Bouches probieren; sie hätten immer für besonders schön gegolten.
    Wir waren sehr erstaunt; aber die Birnen waren köstlich, und ich konnte es nicht unterlassen, meinem Nachbar zur Rechten diese kleinen Vorfälle mitzuteilen, als wir uns bald danach vor unseren Häusern begegneten.
    »Das bedeutet den Tod der Alten«, sagte er, »oder aber« – und er betrachtete mich fast bedenklich von oben bis unten – »Sie müssen einen ganz besonderen Zauber an sich haben!«
    »Der, leider, von jüngeren Augen bisher noch nicht entdeckt wurde«, erwiderte ich.
    Und wir schüttelten uns lachend die Hände.
     
    Im Garten fiel schon das Laub von den Bäumen, und noch immer hatte ich einen Besuch nicht ausgeführt, den ich mir eigentlich als den allerersten vorgenommen hatte.
    Er galt freilich nur einer Erinnerung.
    Aus dem Flur meines elterlichen Hauses führten ein paar Stufen zu einem nach dem Garten liegenden Zimmer, dessen Fenster ich mir noch heute nicht ohne Sonnenschein und blühende Topfgewächse zu denken vermag. Der Pfleger derselben war ein schöner milder Greis, der Vater meiner Mutter, welcher hier nach einem einst bewegten Leben die stillen Tage seines Alters auslebte. Wie oft habe ich als Knabe neben seinem Lehnstuhl gesessen, wie oft ihn gebeten, mir aus seinem Leben in fernen Ländern zu erzählen! Aber es dauerte immer nicht lange, so waren wir in seiner Vaterstadt, auf den Spielplätzen seiner Jugend. Das urgroßelterliche Haus mit allen Treppen und Winkeln kannte ich bald so genau, daß ich eines Tages die sämtlichen drei Stockwerke ohne alle Nachhülfe zu Papier gebracht hatte. Da leuchteten die Augen des alten Herrn. »Wenn du einmal dahin gelangen solltest«, sagte er und legte die Hand auf meinen Kopf, »geh nicht daran vorüber!«
    Plötzlich war er aufgestanden und hatte die Klappe seines an Erinnerungsschätzen reichen Mahagonischrankes aufgeschlossen. »Sieh dir doch die einmal an!« Mit diesen Worten legte er ein Miniaturbild in silberner Fassung vor mir hin. »Das war mein Spielkamerad, sie wohnte Haus an Haus mit uns. Auf ihrer Außendiele hing ein Ungeheuer, ein ausgestopfter Hai; da sah man gleich, daß ihr Vater Kapitän auf dem großen Ozean war.«
    Ich hatte nichts geantwortet, aber meine

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